Monatsarchiv: Juni 2020

Mitteilungen aus der Kronen-Gruft 20: Bilder einer Vorstellung

Zwei Bilder von meinem letzten Spanienurlaub (Andalusien) hängen in meiner Wohnung. Das eine lenkt den Blick in die Vergangenheit, das andere zeigt eine gnadenlose Gegenwart. Das erste Original hängt im Stadtmuseum von Sevilla und zeigt die berühmte, auch bei Thomas Mann leidenschaftlich nachgezeichnete Szene, in der Joseph versucht, der liebestollen Frau des ägyptischen Pharaos zu entkommen, während sie voller Lust und Leidenschaft nicht von dem Zipfel des Kleides lassen will, den sie erhascht hat. Das zweite ist in einem kleinen Museum in Córdoba zu finden, das einem Maler gewidmet ist, der seinen Pinsel am liebsten mit einem Plektrum getauscht hätte, da er den Flamenco so liebte.

Was hat das nun mit mir zu tun? Nun, das erste Bild erinnert mich an meine Zeit, da ich mich kaum der Frauen erwehren konnte, die mich zu haschen suchten. Im Mittelpunkt des zweiten Bildes steht ein demütiger Gitarrenspieler, der ganz in sein Instrument versenkt ist, während die Damen tanzen, deren Girren und Gurren er gar nicht bemerkt. Ich Jüngling – Ich alter Mann. Dazwischen ein ganzes Leben, das in Vergessenheit geraten ist. Denn was zählt, das sind die Extreme, Anfang und Ende, Lebensfrühling und Tod, Süßes und Saures. Auf die Zwischentöne verzichten wir gerne! Die sind nämlich nichts anderes als dieses scheißbürgerliche Leben, mit dem wir uns arrangiert haben. Wir sind wie Wasser. Wir suchen uns den Weg des geringsten Widerstandes. Wir sind Widerlinge.

Nachtrag

Meine chinesische Frau (die totale Sängerin), die diesen Beitrag auf meinem BLOG wohl schon gelesen hatte, rief mich soeben in meiner Düsseldorfer Wohnung an, in die ich zwischenzeitlich geflohen bin. Und sie sagte einen Satz in (fast) perfektem Deutsch.

„Hast Du Sie [sic] noch alle?“, fragte sie. Ich konnte ihr wie immer nicht widersprechen.

(In diesem Beitrag wird ja Thomas Mann explizit erwähnt. Indirekt erwähnt werden aber auch noch ein Komponist und ein Dramatiker. Aber wem sage ich das. Wer diesen BLOG liest, ist sowieso ziemlich gebildet.)

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Mitteilungen aus der Kronen-Gruft 19: Ataraxia

Dieses Bild gab den Anstoß für das Folgende…

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Wer von Euch altsprachlichen Humanisten erinnert sich denn noch an den GEMOLL, das Griechisch-Deutsche Schul- und Handwörterbuch aus den 60er Jahren? Das steht bei mir noch im Regal, in friedvoller Nachbarschaft zu einem Affen aus meiner Kinderstube in den 50er Jahren und einem Philosophischen Wörterbuch aus der DDR. Neulich habe ich diesen Gemoll in einer meiner koronaischen Mußestunden auf meinen Schreibtisch geholt – ja, so was gibt es bei mir noch neben Laptop und Desktop… Und ich habe was nachgeschlagen, weil ich mir der Schreibweise nicht mehr sicher war. Den Anlass dazu gab eine stille Episode mit meinen Katern, die verrückt vor Freude sind, weil ich das Haus kaum noch verlasse, also praktisch immer für sie da bin. Aber vielleicht hat diese gesuchte Nähe auch andere Gründe. Denn meine chinesische Frau hat zu einem eigenen Zeitvertreib gefunden. Mit Hilfe diverser Apps singt sie auf Chinesisch am laufenden Band und lässt ihre

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Gesänge anschließend von einer App bewerten. Es gibt die Note A (für „asozial“?) und dreimal die Note S (für „sozial“?), also SI, SII und SIII . Ihre Freundin Ling schafft es oft bis zur SIII, meine Frau hingegen kommt nie über SII hinaus. Und das ärgert sie, und so singt sie wieder, und immer wieder… Kein Wunder, dass die Kater meine Nähe suchen. Auf deren Zutraulichkeit und vertrauten Umgang bilde ich mir also gar nichts ein. Wir drei, Adonis, Aladin und ich, wir üben uns gemeinsam in ATARAXIA (siehe GEMOLL). Und wir beziehen da durchaus meine Frau in akustischen Gedanken mit ein, denn sie ist schließlich der Anlass für diese neue Männerfreundschaft, ja Schicksalsgemeinschaft.

Für meine chinesischen Freundinnen und Freunde hier die Übersetzung dieses Beitrags:

你們中誰最古老的語言人文主義者還記得1960年代的GEMOLL,希臘德語學校和手字典? 它仍然在我的架子上,在一個1950年代我的托兒所裡的猴子和GDR的哲學詞典附近的一個寧靜社區中。 我最近在我的電暈閒暇時間之一中將這本Gemoll帶到了我的書桌上-是的,除了筆記本電腦和台式機外,還有類似的東西……而且我抬起頭來是因為我不再確定拼寫。 原因是我的宿醉無聲,他們為之瘋狂,因為我幾乎沒有離開過家,所以我幾乎總是在他們身邊。 但是,也許還有其他原因導致這種接近。 因為我的中國妻子發現了自己的消遣方式。 在各種應用程序的幫助下,她在傳送帶上用中文唱歌,讓她 然後對應用中的歌曲進行評分。 有A級(代表“反社會”?)和三級(代表“社會”?),即SI,SII和SIII。 她的朋友Ling經常進入SIII,但我的妻子從未超越SII。 這讓她很煩,所以她一次又一次地唱歌。難怪宿醉在找我。 因此,我對他們的信任和熟悉沒有任何幻想。 我們三個人(阿多尼斯,阿拉丁和我)一起在ATARAXIA練習(見GEMOLL)。 我們絕對讓我的妻子參與聽覺的想法,因為她是男人之間建立這種新友誼的原因,是的,是命運的共同體。

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Mitteilung aus der Kronengruft 18: Es wird schlimmer, als wir denken!


So wie das aussieht, könnte das im Chaos enden… Oder alles wird gut….

Der Fisch ist jedenfalls tot.
Also in Sicherheit.

Aber da scheint noch was zu sein.

Wir Menschen verschließen jedenfalls die Augen davor, dass alles noch schlimmer wird und ein Wort wie Chaos nicht ausreichen wird, um das, was wird, zu beschreiben.

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Reisebilder: Heinrich Heine und der Graf von Platen

Beitrag Nr. 5

Zum besten der Literatur will ich … jetzt vom Grafen August von Platen-Hallermünde etwas ausführlicher reden. Ich will dazu beitragen, daß er zweckmäßig bekannt, und gewissermaßen berühmt werde, ich will ihn literarisch gleichsam herausfüttern, wie die Irokesen tun mit den Gefangenen, die sie bei späteren Festmahlen verspeisen wollen.

Da der Graf sich selber für einen der größten Dichter deutscher Sprache hielt, ist diese einleitende Anmerkung Heines natürlich eine saftige Ohrfeige, ja viel mehr. Denn wie wir sehen werden, wartet Heine mit der Verspeisung nicht auf eine spätere Gelegenheit, sondern verschlingt ihn sofort mit Haut und Haar.

Der Standpunkt, von wo ich den Grafen Platen zuerst gewahrte, war München, der Schauplatz seiner Bestrebungen, wo er, bei allen, die ihn kennen, sehr berühmt ist, und wo er gewiß, so lange er lebt, unsterblich sein wird.

Das sitzt! So lange er lebt, ist er unsterblich. Eine Platitüde, die platt macht.

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Heinrich Heine und Diego Maradona

Reisebilder, Beitrag Nr. 4

Wie bereits gesagt: Damals wie heute gab und gibt es immer wieder Polemiken unter Schriftstellern, und gelegentlich endet das auch in einem Shitstorm. Das letzte Kapitel Nr. XI des dritten Teils der Reisebilder (Die Bäder von Lucca) ist definitiv ein solcher. Doch dieser Sturm kündigt sich in Kapitel X durch ein äußerst witziges, aber dennoch schon echt aggressives Grollen und Grummeln, man könnte auch sagen ein äußerst unterhaltsames Gumpeln, an. Er bedient sich nämlich in diesem vorstürmischen Geplänkel der Person des Marchese Gumpelino und auch dessen Diener Hirsch-Hyazinth, hält sich also noch in einem weitgehend fiktionalen Raum, nämlich der Reise zu den Bädern von Lucca, auf. Dennoch ist völlig unverkennbar, dass Heinrich Heine hier schon ganz auf den Grafen Platen zielt, wenn er gewisse Eigentümlichkeiten des Marchese und seines Dieners ins kritische Visier nimmt, und das geschieht vor allem in Hinblick auf dessen vermeintlicher allergrößter Dichtkunst und auf das Fehlen einer Charaktereigenschaft, auf einen lächerlich sich darstellenden Mangel an EHRLICHKEIT. Letzteres ergibt sich indes aus dem zeitbedingt sich ergebenden Widerspruch zwischen Sitten der Zeit und Neigung des Grafen zum männlichen Geschlecht. Eine Polemik gegen einen schwulen Dichter in der heutigen Zeit wäre in dieser Form undenkbar, zumal diese Polemik sich u.a. auch über dessen schwules Gebaren lustig macht.

Es wäre indes verfehlt, Heine deswegen geschlechtsorientierungsbezogene Vorurteilshaftigkeit vorzuwerfen. Denn bei aller Polemik wird doch deutlich, dass sie sich nicht gegen das Schwulsein an sich richtet, sondern gegen die Art Weise, wie hier ein Mensch damit umgeht, nämlich unehrlich und lächerlich. Nehmen wir ein Beispiel aus der heutigen Zeit. Ich weiß nicht sehr viel vom Leben des Fußballstars Maradona. Aber nehmen wir einmal an, ein solcher Star würde permanent von sich behaupten, der größte Star aller Zeiten zu sein, er würde zudem als alternder Star mit Schmerbäuchlein immer noch versuchen, die tollsten Pirouetten zu drehen, sich auch noch aufspielen als Besserwisser gegenüber anderen Stars, – ein solcher Mensch würde sich doch zum Narren machen und als Gegenstand einer satirischen Polemik eignen. Dem Journalisten oder Schriftsteller, der sich diesem Gegenstand in dieser Form widmet, könnte deswegen aber doch nicht vorgeworfen werden, er verunglimpfe den Fußball!

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Heinrich Heine: Reisebilder. Die Bäder von Lucca

Beitrag Nr. 3

Heinrich Heine hat bei späteren Auflagen seiner Reisebilder erwogen, die Kapitell X und XI aus Die Bäder von Lucca wegzulassen, hat es dann aber nicht getan, da dies wohl einem Eingeständnis gleichgekommen wäre, dass an dem Vorwurf, er sei mit seiner Kritik an Platen über das Ziel hinausgeschossen, etwas dran sei. Dabei geht es nicht nur in diesen beiden Kapiteln um Platen, sondern man kann sagen: Die Bäder von Lucca sind insgesamt eine Antwort auf Platens Lustspiel Der romantische Ödipus, das eine polemische Auseinandersetzung mit Immermann und Heine war. Heine will mit den Bädern von Lucca einfach zeigen, dass er sich weit besser mit Polemik auskennt als sein adliger Möchtegerndicherkollege.

Hier wird wieder ganz deutlich, dass offenbar eine beträchtliche Anzahl von schriftstellerischen Veröffentlichungen nicht „an-und-für-sich“ gesehen werden sollten, sondern als Momente einer oft weit verzweigten Auseinandersetzung zwischen auf dem Markt der Journale und verlegten Bücher konkurrierenden Individuen. Und daran kann man wiederum ersehen, dass das, was heutzutage in den Social Media passiert, auf Facebook oder in vielen Foren, sich nicht all zu sehr von dem unterscheidet, was schon vor 200 Jahren gang und gäbe war. Aber es lohnt sich, in solche Auseinandersetzungen vor 200 Jahren hineinzuschauen, da man dort Witz und kenntnisreicher Phantasie begegnet, die man häufig im Internet vermisst wegen des Zeitrafferwahns der Produktionsmittel dieses Mediums.

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Mitteilung aus der Kronengruft 17: Zombies

Ja, es gibt diese Lockerungen. Und ja, man nimmt eher schüchtern daran teil. Denn man weiß ja nie…

Soll man jetzt Mundschutz tragen? Na klar. Im Geschäft. Aber auch, wenn man Freunde trifft? Neulich fuhr ich von Saarbrücken nach Luxembourg. Im Auto saßen vier Personen. Ich verordnete allen Mundschutz. In Luxembourg stellten wir fest, dass die Leute in Bussen keinen Mundschutz trugen. Aber die Leute auf der Straße schon. Man ist verwirrt.

Neulich traf ich mich mit Freunden in einem Garten zu einem „Zigarrenabend“. Wir trugen alle keinen Mundschutz. Aber zum Teil Hüte, die zumindest das Abstandsgebot forcierten. Um 23 Uhr haben wir Schluss gemacht. Aus Solidarität mit den Restaurants, die, wenn sie auch wieder öffnen dürfen, um 23 Uhr dicht machen müssen.

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INTERMEZZO UND IMBETTSO?

Alle, die jetzt glauben, ich habe die Orientierung verloren oder ich sei auf die schiefe Bahn der Wissenschaft geraten, möchte ich mit folgendem Limerick aufheitern, den ich vor vielen, vielen Jahren geschrieben habe, nachdem ich die Babysitterin meiner kleinen Tochter nach Hause gebracht hatte.

Hungarian Liquoriage

A Hung’rian girl named Rozi –
her boobs are so soft and cozy.
But each nippel a giant,
so to suck them I try and
I finally feel quite dozy.

Ach, ich trauere immer noch der verpassten Gelegenheit nach, wenn ich daran denke, wie schüchtern ich ihr noch aus dem Auto nachgewunken habe, als sie die Haustür aufschloss, wobei sie mir über die Schulter noch einmal zulächelte und dann für immer verschwand…

Aber hey, Leute, in Zeiten von Corona ist das doch gar nicht schlecht. Schreibt Gedichte, statt zu ficken. Oder macht‘s wie der folgende Ratgeber:

  • Gerade für Singles oder Menschen mit wechselnden (Sex-)Partnerinnen und (Sex-)Partnern bedeutet Corona oft einen größeren Einschnitt in ihr Liebesleben. Da man persönliche Treffen einschränken sollte, heißt das auch, dass man womöglich auf Sex mit anderen Menschen verzichtet. Man kann sich in dieser Zeit jedoch auch auf sich und seine eigene Sexualität fokussieren. Denn auch »Sex mit sich selbst« kann spannend, lustvoll und reizvoll sein. Du kannst deinen Körper entdecken und herausfinden, was dir wie am besten gefällt, ob du beispielsweise Sextoys magst oder nicht. Und es besteht bei Selbstbefriedigung kein Risiko für eine Infektion mit dem neuartigen Corona-Virus! (Liebesleben.de)

Also Leute, legt Hand an (Euch)!

Aber übertreibt es nicht. Denn das führt nach alter Weisheit zur Verblödung.

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Umwertung aller Werte… (na ja, einiger…)

Die Bäder von Lucca: Motto und Widmung

Schwul sein und rassistisch – vor 200 Jahren und heute:

Damals durfte man nicht schwul sein, aber rassistisch schon. Der Haß auf Juden war nichts Anrüchiges, sondern in Deutschland weit verbreitet.

Heute darf man schwul sein, aber Rassismus ist verpönt, wie die letzten 14 Tage eindrucksvoll gezeigt haben.

Aber ist die Stimmung wirklich kreuzweise gekippt?

In einem neuen Beitrag in den Reflexen und Reflexionen bereite ich die Analyse zweier Kapitel aus Heinrich Heines Die Bäder von Lucca vor, in denen Heine eine Art  Solo-Shitstorm vollführt: Der Dichter Platen hasst Heine, weil er Jude ist. Und Heine outet im Gegenzug Platen als schwulen Möchtegerndichter.

Hier füge ich ein paar Xenien von Karl Immermann ein, die Heinrich Heine in seinen Reisebildern weitgehend zustimmend zitiert hatte:

Östliche Poeten

Groß mérite ist es jetzo, nach Saadis Art zu girren,
Doch mir scheints égal gepudelt, ob wir östlich, westlich irren.

Sonsten sang, bei Mondenscheine, Nachtigall seu Philomele;
Wenn jetzt Bülbül flötet, scheint es mir denn doch dieselbe Kehle.

Alter Dichter, Du gemahnst mich als wie Hamelns Rattenfänger;
Pfeifst nach Morgen, und es folgen all die lieben, kleinen Sänger.

Aus Bequemlichkeit verehren sie die Kühe frommer Inden,
Daß sie den Olympus mögen nächst in jedem Kuhstall finden.

Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zu viel, die Armen, und vomieren dann Ghaselen.

Diese Xenien gaben Anlass zu dem Streit, der mit den Kapiteln X und XI in Die Bäder von Lucca eskalierte. Goethe hatte 1819 im West-östlichen Divan Lyrik im orientalischen Stil (vor allem des Saadis und Hafis) publiziert. Lyrik in diesem Stil wurde zu einer Modeströmung, an dem sich auch die „kleinen Sänger“ Rückert und Platen beteiligten. Platen, der eine Vorliebe für Ghaselen hatte, erkannte sich in der letzten Zeile natürlich sofort wieder und war natürlich nicht gerade begeistert. Er, der adlige und sich selber mit Lorbeer schmückende Dichter, wurde hier dargestellt als ein Follower, der zu viel vom Fraß des Meisters genossen hatte und Ghaselen kotzt.

Mehr und Vorläufiges dazu unter Reflexe und Reflexionen. Heinrich Heine: Reisebilder. Beitrag Nr. 2

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Schwulen- und Religionsbashing bei Heinrich Heine?

Heinrich Heine: Reisebilder (1826 – 1830)

Heinrich Heine hat in seinen Reisebildern die politischen und religiösen Missstände seiner Zeit in einer äußerst witzigen Weise kommentiert und sich dabei auch auf einen Streit mit dem sich selber mit Lorbeer bekränzenden Dichter August von Platen, den er als Schwulen geoutet hat,  eingelassen, was ihm von einigen Zeitgenossen übel genommen wurde, was er aber auch selber zwischenzeitlich wohl nicht so witzig fand, da er vor neuen Auflagen daran gedacht hatte, die beiden einschlägigen Kapitel zu streichen. Das ist indes nicht geschehen.

Hieran anschließend kann man vortrefflich ein paar Gedanken anstellen, was unter „sexueller Diskriminierung“ zu verstehen ist vor 200 Jahren, oder heute. Wer ein harmloses Gedicht von Eugen Gomringer an einer Hauswand, in dem der Dichter auf die Beobachtung von Frauen auf einem Boulevard hinweist, als sexistisch ansieht, –  was muss der denken über Heines Invektiven gegen den schwulen Dichter August von Platen? Sollte man Heines Bücher deswegen heute „von der Hauswand entfernen“, also verbrennen?

Die Reisebilder entstanden in einer Zeit, als Heine noch versuchte, in Deutschland eine (An-)Stellung zu erhalten, die es ihm ermöglicht hätte, finanziell unabhängig zu sein, in denen er indes kompromisslos die literarischen und politischen Umstände in Deutschland darstellte, und zwar in einer ebenso ätzenden wie unterhaltsam-geistvollen Art und Weise. Diese Texte könnte man in Bezug auf ihren Stil und Ausdruckskraft durchaus mit einer gewaltigen Welle vergleichen, die die Selbstgewissheiten und Heiligtümer der Zeit hinweg spülte. Diese Eigentümlichkeit bringt es nun mit sich, dass man nur sehr schwer einzelne Beispiele aus diesem Wellenreigen herausreißen kann, ohne den gewaltigen Gesamteindruck zu mindern oder gar zu zerstören. Ein Wort ergibt bei Heine das andere, und ohne den Kontext mag das Eine oder Andere daher in seiner Isolation etwas merkwürdig oder gewollt erscheinen.

In meinen Reflexen und Reflexionen sollen in den nächsten Wochen zu den oben genannten Aspekten ein paar Anmerkungen gemacht werden, in lockerer Reihenfolge.

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