Nehmen wir doch mal Abstand von allem, was Israel und die Hamas angeht.
Und stellen Folgendes fest: Die Hamas hat am 7. Oktober in einem scheinbar unmenschlich brutalen Terrorakt 1.200 Menschen geschlachtet. (Sagte ich “scheinbar”? Gestern sah ich einen Film mit Michael Douglas, in dem dieser einen frustrierten Kleinbürger spielte, der seine ganze Wut rausließ und peu à peu zum gnadenlosen Killer wurde. Unglaublich unmenschlich, aber in einem Menschen entstand diese Wut. Im Film irgendwie nachvollziehbar.) In dem Versuch, die Hamas auszurotten, sind inzwischen anscheinend 10 mal so viele unschuldige Palästinenser gestorben, darunter eine immens hohe Anzahl von Kindern.
Two buddies… (“Wann hast Du Deinen nächsten Gerichtstermin?”)
Wenn ich jetzt sage: Ein Staat, der das in Kauf nimmt, ist selber unmenschlich. Und dann höre ich Benjamin Netanjahus Statement: Wenn auch alle uns im Stich lassen, wir machen das, was wir für richtig halten. Sagt er das mit der Atombombe im Rücken? Ist nicht angesichts dessen die Rede von der “Staatsraison” gegenüber Israel eine hohle Phrase? Was wäre z.B., wenn die Israelis in ihrer existentiellen Bedrohung Syrien, den Iran, Ägypten, etc. mit Atombomben einäschern würden? Und würde ich jetzt, wenn ich keinen deutschen Pass besäße, des Landes verwiesen?
Unsere Politiker erteilen Israel einen Freischein, wenn sie von der Staatsraison reden. Ich halte das für nicht zu Ende gedacht. Beziehungsweise für eine dieser Blasen, mit denen sich manche Politiker gern selbst ein wenig aufblasen.
Neulich stieß ich auf eine ÜbersetzungsAPP mit eingebauter KI-Funktion. Man kann die KI z.B. fragen: “Wie wird das Verb “klingeln” konjugiert” und erhält prompt grammatikalische Auskunft. Danach wollte ich einmal testen, wie es mit der semantisch-pragmatischen Kompetenz der KI steht. Ich habe sie also gefragt: Was bedeutet “du Schlampe” auf Chinesisch? Die Antwort war überraschend. Und das Überraschende war: Die KI hat so etwas wie moralisches Empfinden. Teufel auch, das hätte ich nicht gedacht. Hier der Beweis:
Dieser läppische Zwischenfall macht aber auch deutlich, wie sehr das Verhalten einer KI davon abhängt, was in sie hineingesteckt wurde. KI ist keineswegs neutral oder objektiv, da ihr Verhalten ganz klar von den subjektiven (also auch moralischen) Einstellungen ihrer Programmierer abhängig ist.
KI ist aber nicht nur subjektiv, also wertegeleitet, sondern auch in gewisser Weise recht kurzatmig. Nehmen wir doch einmal an, ich wollte den Ausdruck “du Schlampe” in einem ironischen Kontext verwenden, ihm dadurch seine beleidigende Performance nehmen, ja sogar ins Gegenteil verkehren, da ja ironisches Sprechen bedeuten kann, das Gegenteil von dem zu meinen, was man sagt, ich wollte also, in anderen Worten, nichts weniger als einen kleinen Flirt in meine Kommunikation einbauen, – genau dabei wäre mir die KI keine Hilfe, da sie die Arbeit verweigert auf Grund ihrer moralischen Vorurteile. Und genau das nenne ich ihre Kurzatmigkeit.
Ich habe übrigens den letzten Absatz in die KI der ÜbersetungsApp eingegeben mit der Bitte um Übersetzung ins Englische. Die Übersetzung wurde verweigert mit dem gleichen moralischen Hinweis wie oben. Ich habe sodann den Absatz direkt in der ÜbersetzungsApp eingegeben, also ohne Verwendung der KI. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:
Let’s assume that I wanted to use the expression “you bitch” in an ironic context, thereby taking away from its offensive performance and even turning it into the opposite, since speaking ironically can mean meaning the opposite of what you say , in other words, I wanted to incorporate nothing less than a little flirtation into my communication – which is exactly where the AI would be of no help to me, as it refuses to work due to its moral prejudices.
Bilder, Vergleiche und Metaphern gehören zum Standardrepertoir guter Dichtung. Werden solche verwendet, dient das dem Zweck, etwas, das schwer zu fassen ist, so vor das innere Auge zu bringen, dass es unmittelbar einleuchtet und auch noch gut klingt, also schön ist. Das kommt häufig in gehobener Literatur vor. In weniger gehobener Literatur kommt so etwas auch vor. Aber da wirken solche Sachen oft peinlich, weil da etwas weit hergeholt wird oder einfach die Sache nicht getroffen wird.
Neulich habe ich einen Film im Zweiten Programm gesehen, der lustig sein sollte, der auch sehr lustig war. Da ging es um die Liebe, um die Ehe und um das Glück. Die drei müssen ja nicht unbedingt zusammengehören. Und genau darum drehte sich ja auch der Witz des ganzen Films. Allerdings auf eine sehr unterhaltsame Art und Weise – weil die Bilder, Vergleiche und auch die Metaphern stimmten. Und weil in den Dialogen immer wieder Wendungen eintraten, die nicht vorhersehbar waren. In anderen Worten: Es herrschte in ihm ein frischer Atem.
Wenn ich jetzt eine Reihe von Beispielen für meine These zitatweise einführe, laufe ich Gefahr, dem Irrtum zu erliegen, das, was ich für witzig-spritzig gehalten habe, müsse auch denen gefallen, die den Film nicht gesehen haben. Im Film sagen die Menschen was, und es erscheint witzig, weil es witzig dargeboten wird. Kann aber auch das Wort ohne diese Darbietung den Witz noch transportieren? Ich bezweifle das.
Und dennoch fahre ich fort und zeichne ein wenig von dem nach, was verbal in diesem Film geschah. Ich schreibe es einfach auf und überlasse es dem Leser, sich die Situationen vorzustellen, aus denen heraus diese Sätze entstanden sind. Oder in die er sich hineinversetzt, wenn er die Worte vernimmt. Es ist einfach phantastisch, was Sprache vermag. Ein Wort kann wie eine Blüte sein, die uns mit allen Sinnen vereinnahmt, aus deren Kelch wir trinken, in deren Anblick wir versinken, – na, was reimt sich nun noch? Genug der mäandernden Worte, Euch stinkt’s allmählich auch. Ich übe Askese und zitiere nur noch, garniere mit kurzen Erläuterungen.
Anne Merz zu ihrem Ex-Mann Erik, als der sich abfällig über ihren jungen Lover äußert und sie ihm Eifersucht nach der Trennung vorwirft: „Das ist wie Nachsalzen, wenn die Suppe schon weg ist.“ Er: „Und du bist die Suppe, oder was?“
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Und was sagt Erik über diesen Lover? „Du kannst den ja bei der Krankenkasse einreichen!“
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Die Mama von Erik wundert sich über das, was ihr Sohn von sich gibt und sagt: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Erik: „Das hat dich noch nie davon abgehalten, was zu sagen, Mama.“
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Anne über Mama: „Wenn ich mit ihr rede, dann ist das als wenn ich eine Einheimische in Timbuktu nach dem Weg frage. Die versteht mich einfach nicht.“
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Annes Vater hat Demenz und singt gern zum eigenen Klavierspiel: „Ein Jäger aus Kurpfalz, hat seine Frau am Arsch geleckt. Jetzt riecht er aus dem Hals.“ „Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison.Ich hab ne Dose Cola und Titten aus Beton.“
Oder gibt gern gute Ratschläge: „Die erste Ehe ist ja sowieso nur zum Üben. Hab ich Erik damals auch gesagt, nicht Junge?“
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Laura, die junge Kollegin, die Erik als seine Freundin ausgibt, um mithalten zu können, hat sich ein „Carpe diem“ auf den Arm tätowieren lassen. Anne bemerkt dazu spitz: „Ich find’s echt schwierig, wenn man sich sein Motto auf’n Arm schreiben muss, weil man es sich nicht merken kann.“ Laura kontert: „Sorry, ich bin so schlecht im Leute Merken. Also wer warst du noch mal? Also für Erik, die Schwester?“
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Eriks Mutter zu ihrem Mann: „Meinste, du bist immer nur ein Hauptgewinn? Meinste, ich hätte dem Herrgott auf meinenKnien dafür gedankt, dass er dich vorbei geschickt hat? Ich hätte mir einen gewünscht, der seine eigenen Füße noch sehen kann, und der ein bisschen aussieht wie Roy Black.“Und der sagt dazu: „Roy Black, kuck mal, der ist doch andersrum. Rex Guildo, der ist doch schwul wie…“
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Der demenzkranke Papa von Anne war abgehauen. Nun kommt ihre Lover von hinten und will sie küssen und sagt: „Papa wieder eingefangen?“Sie wehrt ab: „Ja, lass man!“Er fragt irritiert: „Was ist los?“ Und sie: „Nix. Aber ich bin ja nicht hier die Hüpfburg, wo du hinkommst, im Kinderparadies, und dann…“
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Der Junior hat die Hochzeit erst mal abgesagt. Darauf sein Vater: „So was bespricht man doch erst mal von Mann zu Mann!“Steilvorlage für Anne ist das. Denn sie sagt: „da würden aus meiner Sicht bei Euch schon mal zwei Männer fehlen, oder?
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Erik und Anne reden über Paare. Anne sagt: „In der Beziehung bin ich wohl qualifizierter als du.“Erik: „Wieso, weil du einen minderjährigen Stecher hast?“ Anne: „Ach, und deine vollbemalte Trulla ist besser?“ Erik ist wirklich der Fachmann. Er sagt: „Frauen können Orgasmus vortäuschen und Männer Liebe.“Da hat auch Annes Mutter noch ein Wörtchen mitzureden: „Liebe ist nicht alles, aber ohne Liebe alles nichts.“
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Der Enkel holt sich bzgl. der anstehenden Eheschließung Rat beim dementen Opa: „Opa, ich will das nicht machen.“Und Opa kann das verstehen: „Richtig. Ehe ist wie eine Fahrt aufm Karussell. Kostet Geld, geht kurz rund, und dann ist dir schlecht.“
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Der Sohn zum Vater (in der Stunde der Wahrheit): „Ich studier nicht. Ich hab gelogen.“Vater Erik: „Ja schön, jetzt hast du deinen eigenen Tiefpunkt noch mal unterkellert.“
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Wenn Anne nicht mit ihrem jungen Lover beschäftigt ist, ist sie arg mich sich selber beschäftigt: „Ich bin noch nicht alt genug um schon älter zu werden. Ich bin in dem Alter, wo ich noch jung sein möchte.“
Christoph Maria Herbst und Annette Frier spielen die Hauptrollen in dieser Komödie. Der Film ist auch ansonsten optimal besetzt.
Künstliche Intelligenz ist, seit sie seit ein paar Jahren wirklich boomt, zu einer allgemeinen Projektionsfläche geworden, die von allen möglichen Leuten für alles Mögliche missbraucht wird. Für die einen bedeutet sie das Ende der Menschheit, für die anderen läutet sie ein völlig neues paradiesisches Zeitalter ein. Neulich lautete eine Überschrift in der Süddeutschen Zeitung (18.09.2023): “Ist das der Gottesmoment der Menschheit?” Was dann folgt ist ein Interview mit der Philosophin und Theologin Anna Puzio, die darauf hinweist, dass derzeit im KI- und Technikdiskurs sehr viele religiöse Motive reproduziert werden. Dabei sei es besonders interessant, dass diese Diskurse “sehr stark mit Machtvorstellungen aufgeladen” seien. Wie genau aber KI und Macht zusammenhängen, – die Antwort darauf bleibt die Theologin uns schuldig.
Und das ist genau der Punkt, an dem uns das 2021 erschienene Buch “Atlas of AI” (AI = artificial intelligence, also KI) von Kate Crawford abholt. In diesem grundlegenden Werk zur KI geht die Autorin genau der Frage nach, wie KI und Macht zusammenhängen, welche materiellen Voraussetzungen KI hat und welche Folgen, welchen Interessen sie dient und wessen Interessen sie zuwiderläuft. Das Buch ist also eine Analyse des Phänomens in bester ideologiekritischer Tradition. Es ist also keine Taxonomie der Erscheinungsformen, sondern ein Ausloten der kausalen Tiefenstruktur des Phänomens im Beziehungsgeflecht von Macht, Politik und den Kosten für unseren Planeten.
Kate Crawford hat beinahe zehn Jahre recherchiert für dieses Buch und ist dabei auch immer wieder um die Welt gereist, um aufzuspüren, wie das Leben auf allen Kontinenten durch die KI verändert wird, welche Folgen sie für die Menschen hat und um herauszufinden, wer letztendlich und am meisten von ihr profitiert. Zu dem letzten Aspekt gibt sie ein ebenso klare wie erschreckende Antwort: Es ist eine Handvoll von Milliardären, deren Namen fast jeder kennt. Wer noch nie gegoogelt hat oder noch nie etwas von Amazon erhalten hat, dem, allenfalls dem dürften die Namen dieser Milliardäre nichts sagen….
Wenn du in der Sauna bloß noch alte Menschen antriffst, dass es schon keinen Unterschied mehr macht, ob du die Brille abgelegt hast oder nicht, ja, dann hast du genau das Hotel gewählt, das dir altersmäßig zukommt.
Aber als ich danach wieder aufs Zimmer kam, wo inzwischen der Zimmerservice gewesen war, da fühlte sich das an wie ein Wiederauftauchen aus der Steinzeit.
Das Zimmermädchen und ich: Ein Herz und eine Stele.
Völs am Schlern hat sehr schöne Hotels. Rose Wenzer und das Heubad habe ich schon ausprobiert. Diesmal bin ich ins hotel st.anton gegangen, weil nichts anderes mehr bei booking.com zu haben war.
Dieses Hotel gehört einem gewissen Kompatscher, also Tradition, ist überaus groß und liegt an der Gabel von Hauptverkehrsstraße und Einfahrt zum Indurstriegebiet. Macht nichts, habe ich mir gesagt, Hauptsache die Innereien stimmen. Als ich vor der Rezeption stand, wurde es mir mulmig, alles o.k., aber unpersönlich. Das Zimmer dann, auch irgendwie o.k., aber diese runden, riesigen Deckenlampen, der runde Beistelltisch, das auf dem Schreibtisch fast festgeklebte Deckchen, das bei seiner Entfernung einen großen Flecken offenbarte, das Zimmer und das Bad, alles ziemlich groß, geklotzt nicht gekleckert, aber der Teppich hier und da bekleckert. Das Schwimmbad wohltemperiert, die Saune klein, aber fein. Auf den Fluren hängen interessante Bilder, Lokalkolorit aber auch Kunst, nicht mal so schlecht.
Aber dann betrat ich am Morgen den Speisesaal und fand folgende Tafel auf meinem Tisch:
Wer derart massiv gegen Schnorrer angehen muss, hat offenbar die falschen Gäste. Und das hat offensichtlich mit den Eindrücken zu tun, die ich oben beschrieben habe. Jeder hat aber die Gäste, die er verdient.
Interessant übrigens, wie wieder mal die Poesie dafür herhalten musste, dem hart Fordernden eine schmeichelhafte Spitze zu verpassen…
Wer ist der bajuwarische Antipode? Laut Selbstauskunft ist das immer noch Friedrich Nietzsche, der sich in Ecce Homo neben kulinarischen Betrachtungen auch den Gillamoosschen Auswüchsen widmet. Hier die trophologische Beurteilung der Deutschen, aber auch der Engländer. Und bei letzteren kommen einem die kulinarischen Leiden in den Sinn, die der Kommissar in Frenzy auszustehen hat, weil dessen sehr englische Frau einen Kochkurs in französicher Küche absolviert. Hitchcock hätte Nietzsches Ausführungen zu dem Thema gewiss gefallen, wenn er sie gekannt hätte. Oder hat er sie gekannt?
“Aber die deutsche Küche überhaupt – was hat sie nicht alles auf dem Gewissen! Die Supppe vor der Mahlzeit (noch in Venetianischen Kochbüchern des 16. Jahrunderts alla tedesca genannt); die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse; die Entartung der Mehlspeisen zum Briefbeschwerer! Rechnet man gar noch die geradezu viehischen Nachguss-Bedürfnisse der alten, durchaus nicht bloß alten Deutschen dazu, so versteht man auch die Herkunft des deutschen Geistes – aus betrübten Eingeweiden… Der deutsche Geist ist eine Indigestion, er wird mit nichts fertig. (Auch die Zeitenwende ist die reinste Indigestion; sie wird mit nichts fertig.) – Aber auch die englische Diät, die, im Vergleich mit der deutschen, selbst der französichen, eine Art “Rückkehr zur Natur”, nämlich zum Kannibalismus ist, geht meinem eignen Instinkt tief zuwider; es scheint mir, dass sie dem Geist schwere Füße gibt – Engländerinnen-Füße… Die beste Küche ist die Piemonts.
(Nietzsche hat bekanntlich seine letzten bewussten Tage in Turin erlebt und gerne die bekannte Pasta Piemonts verspeist.) – Alkoholika sind mir nachteilig; ein Glas Wein oder Bier des Tags reicht vollkommen aus, mir aus dem Leben ein “Jammertal” zu machen, – in München leben meine Antipoden.”
Niemand hat bisher Rousseaus “Rückkehr zur Natur” boshafter verarscht. Und wozu Hitchcock ein paar Szenen braucht, um seinen Punkt zu machen – Nietzsche schafft das mit einem einzigen Wort: Engländerinnen-Füße… Man hat zwar keine Ahnung, was das bedeuten soll, und trotzdem eine sehr plastische Vorstellung von den Füßen von Frauen, die als Gesamtkunstwerk auch heute noch gelegentlich sehr skurril in Erscheinung treten.
So zitiert die FAZ Helmut Aiwanger, der sich erinnere, dass sein Bruder Hubert die antisemitischen Flugblätter, deren Urheber er selber sei, nur wieder eingesammelt habe.
Da hat der Hubert aber einen schlechten Job gemacht, wenn er nur “ein oder wenige Exemplare” in seiner Tasche davontrug, wie der Hubert anfangs sagte.
Da fehlte es damals offenbar an der nachhaltigen Überzeugung und heute fehlt es an der Feinabstimmung zwischen den Brüdern.
Dreister geht’s nimmer. Nun soll der kleine Bruder also derjenige sein, der eine “dumme Satire” des älteren, die dieser nach einer Version aus Frust vor einer Nichtversetzung, nach einer späteren Version offenbar aber aus Ärger über so einige Sozis unter den Lehrern, nicht nur verschwinden lassen will, sondern der außerdem noch eine Bestrafung auf sich nimmt, um seine Familie zu schützen. Mafioser geht’s nimmer. Der ältere Bruder opfert seinen jüngeren – der jüngere opfert sich für den älteren.
Die angebliche Opferung vor 35 Jahren soll allerdings in der Gegenwart ihre heilsame Wunderwirkung entfalten.
Alles hängt jetzt davon ab, ob der Markus Söder an Wunder glaubt. Mir schwant Übles. Denn Bayern ist bekanntlich ein sehr katholisches Land.
Eine ganze Reihe von Menschen weiß, was sie auf den Teller bekommt, wenn ein Steak Chateaubriand bestellt wird, ein ganz dickes saftiges nämlich. Die wenigsten bei uns wissen indes, dass François-René de Chateaubriand neben Madame de Staël, die auch in Deutschland bekannt wurde – u.a. als eine Art Arbeitgeber von August Wilhelm Schlegel – der in Frankreich bekannteste Frühromantiker war. Einige seiner Novellen machten ihn dazu. Wirklichen Ruhm jedoch erlangte er durch seine Abhandlung Le Génie Du Christianisme, eine Apologie des Christentums, in der er den Gottesbeweis (oft deduktiv veranlagt) quasi umkehrte, indem er von der Schönheit der Natur auf die Existenz Gottes schloss. Sein letztes Großwerk ist posthum erschienen, darauf war es angelegt, was schon der Titel verdeutlicht: Erinnerungen von jenseits des Grabes. Geschrieben wurde es im Zeitraum von 1811 bis 1841, und es ist für den heutigen Leser deshalb so interessant, weil dieses Leben vor der französischen Revolution begann und diese kritisich begleitete (z.B. sie als Offizier im Emigranten-Heer bekämpfte). Dann musste er nach England fliehen und kehrte 1800 nach Frankreich zurück und wurde Staatsbeamter unter Napoleon. Er wurde Gesandtschaftsdeligierter in Rom, aber bald wieder abberufen. Dann wandte er sich den Royalisten zu und kam während der Juli-Revolution von 1830 erneut in erhebliche Schwierigkeiten. Später reiste er mehrmals nach Prag (da war er schon über sechzig Jahre alt, und eine Reise mit der Kutsche war keine Kaffeefahrt…), um die Mitglieder der Bourbonen-Familie zu versöhnen. Eine ihm zustehende Ministerpension schlug er aus und musste Landbesitz und bewegliche Habe verkaufen um zu (über)leben.
W. G. Sebald: Die Ringe des Saturn. Eine englische Wallfahrt. Fischer, Frankfurt a.M. 1997
Die Grafschaft Suffolk an der englischen Ostküste ist dünn besiedelt, aber voller Geschichte(n). Und (fast) nur um die geht es in diesem „Reisebericht“ aus dem Jahre 1992. Während in Willi Winklers kürzlich hier besprochenen „Wanderbuch“ Herbstleuchten immerhin z.B. die Planken der Autobahnen (die es zu meiden gilt), die Mühsale der Alpenüberquerung (ein Kampf mit dem Alter) und ab und zu auch freche Bemerkungen von dem einsamen Wanderer Begegnenden (die man frech kommentiert) vorkommen, enthält Sebalds Buch im Wesentlichen Geschichten, die irgendwie mit der Vergangenheit dieser ostenglischen Landschaft in einem Zusammenhang stehen.