Rauchwarnung

An der Schraube der Warnungen auf Rauchwaren vor den gefährlichen Folgen des Rauchens ist ja schon vor einiger Zeit wieder gedreht worden. Zu Recht, denn Tabak ist wirklich ein Teufelszeug. Doch interessant ist es zu beobachten, welche Ängste dabei mobilisiert werden. Wie also ist nach Ansicht der Gesundheitsbehörde ein Raucher gestrickt? Wenn das eine vielleicht nicht wirkt, setzen wir noch eins drauf!

Er fürchtet weder Teufel noch den Tod,
gönnt sich der Eier wegen aber Rauchverbot!

Übersetzung für meine Freunde aus USA und Kanada:

He’s not afraid of death or devil,
but keeps his balls on caresome level.

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Daniel Kehlmann: Lichtspiel

„Und bei eurem nächsten Film, Der Fall Molander, da hat der große Paul Wegener die Hauptrolle gespielt?“
„Welchem?“
„Bei eurem nächsten Film“, liest er von der Karte. „Der Fall Molander. Da hat Paul Wegener die Hauptrolle gespielt.“
„Den gibt es nicht.“
„Den Paul Wegener?“
„Diesen Film. Gibt es nicht, der wurde geplant, aber nie gedreht.“
Ein paar Sekunden ist es still, dann sagt Heinz Conrads: „Doch, doch, hier steht … Gedreht ist er schon worden. Es hat ihn nur keiner gesehen, er ist dann verloren gegangen.“

Wer wissen will, warum ich diesen Ausschnitt aus dem 1. Kapitel des Romans für eine Schlüsselstelle halte, der kann das unter „Reflexe und Reflexionen“ erfahren. Einfach hier anklicken und dann nach unten scrollen…

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In der Sache H.v.Kleist: Eine Empfehlung

Heinrich von Kleist kennt man normalerweise als Autor von Der zerbrochene Krug (im Theater gesehen…) oder Michael Kohlhaas (in der Schule gelesen…). Manche, die nicht nur Germanistik, sondern auch Philosophie studiert haben, werden vielleicht auch mit Schmunzeln zur Kenntnis genommen haben, dass Kleist angeblich in große Verzweiflung geriet, als er erfuhrt, dass Kant, der große Aufklärer, postulierte, man könne die Dinge niemals so wahrnehmen, wie sie in Wahrheit sind…

Ich hatte Kleist für mich eigentlich „abgehakt“, bis ich in trockener Alterslangeweile vor ein paar Tagen an einem meiner Bücherregale vorbeischlurfte und einen „SUV“ zwischen einer Reihe von Taschenbüchern ausmachte, fest eingebunden und mit goldverrahmtem Titel: „Kleist. Sämtliche Werke“. Ok, ich verrate hier also, was mich antreibt, bestimmte Bücher zu lesen, der Zufall nämlich. Und damit bin ich bisher ganz gut gefahren…

Ich habe also diesen kompakten, in Leinen verpackten Band zur Hand genommen und einen Abend lang darin „geblättert“. Ich habe sogar den Michael Kohlhaas noch einmal gelesen, ich habe am nächsten Tag sämtliche Erzählungen verschlungen und war darnach entschlossen, Heinrich von Kleist ein wenig auf den Zahn zu fühlen, und ich habe mich nach einer guten Biographie umgesehen. Meine Wahl fiel auf Günter Blamberger.

Good Choice, muss ich heute sagen! Ich möchte dieses Buch hier nicht im Detail besprechen, sondern einfach zur Lektüre empfehlen. Der Autor ist nicht nur ein ausgewiesener Kleist-Kenner, sondern ein in gleichem Grade sensibler Interpret seiner Werke und gibt davon ausreichend Zeugnis in dieser Biographie, die in ihrer Chronologie im Großen und Ganzen der Entstehung der Kleistschen Werke folgt.

(Ein wenig mehr zu diesem Buch findet man unter Reflexe und Reflexionen.)

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Marry you

Diesen Song haben Eric Clapton und BB King mal susammen aufgenommen. Und als ich den heute mehr oder weniger zufällig auf Spotify hörte, dieses penetrante: You wanna marry me? Isn’t that what you want too? – da habe ich gedacht: So alt waren die Säcke noch nicht, als sie das aufgenommen haben. Aber was singen die alten Säcke da eigentlich?

Dann habe ich aber mal genauer hingehört:

It’s the sugar so sweet
Kind I’d like to
Meet you at midnight
And tell no one else about it

I’m going to make you mine
‚Cause I know we’ve got the time
Now and then, baby
Hey, I want you to know

I wanna marry you
Isn’t that what you want too?
I wanna marry you
Isn’t that what you want too?

Come on in the back of the ’57
Let me show you the way, the way to heaven
You looking so sweet, yes you are
I’m sure that you’ve got some heat

I’ve got you on my mind
You know you’ve got my time
Now and then, baby
Hey, I want you to know

I wanna marry you
Isn’t that what you want too?
I wanna marry you
Isn’t that what you want too?

I’m falling in love with you (I’m in love with you)
You make all my dreams come true (make all my dreams come true)
I’m falling in love with you (I wanna marry you)

I wanna marry you
Isn’t that what you want too?
I wanna marry you
Isn’t that what you want too?

I wanna marry you
Isn’t that what you want too?
I wanna marry you
Isn’t that what you want too?

Aber was die beiden da vom „sweet sugar“ säuseln, von der Hitze der Nacht, von der Zeit, die sie verbringen wollen, explodiert in der Enthüllung, wo „das Ganze“ passieren soll, nicht etwa in der Öffentlichkeit eines Traualtars, sondern auf dem Rücksitz eines alten Ford Baujahr 1957 (Siehe Kierkegaard (der das schon mit einiger Hellsicht erkannt hatte): Liebende suchen die Einsamkeit!).

Im Grunde ist der Song eine Homage im Rahmen eines alten Klischees, der Liebe auf dem Rücksitz von Dadys Auto. Und so gesehen, ist das doch ein Song zweier alter Säcke. Schämt Euch! Habt Ihr das noch nötig? – Andererseits, that might be the way to heaven for two dirty old men…

(Übrigens, der Titel/Refrain „Marry YOU“ gibt die Stoßrichtung vor. Denn normalerweise sagt der Lover, der was „Ernstes“ im Sinne hat, doch: Marry ME!)

Übrsetzung, Google sei Dank!

Text

Der Zucker ist so süß 
It’s the sugar so sweet 

Nett, das würde ich gerne tun 
Kind I’d like to 

Wir treffen uns um Mitternacht 
Meet you at midnight 

Und erzähle niemandem davon
And tell no one else about it

Ich werde dich zu meinem machen 
I’m going to make you mine 

Weil ich weiß, dass wir die Zeit haben 
‚Cause I know we’ve got the time 

Hin und wieder, Baby 
Now and then, baby 

Hey, ich möchte, dass du es weißt
Hey, I want you to know

ich will dich heiraten 
I wanna marry you 

Wollen Sie das nicht auch? 
Isn’t that what you want too? 

ich will dich heiraten 
I wanna marry you 

Wollen Sie das nicht auch?
Isn’t that what you want too?

Kommen Sie hinten in den 57er 
Come on in the back of the ’57 

Lass mich dir den Weg zeigen, den Weg zum Himmel 
Let me show you the way, the way to heaven 

Du siehst so süß aus, ja, das bist du 
You looking so sweet, yes you are 

Ich bin mir sicher, dass du etwas hitzig bist
I’m sure that you’ve got some heat

Ich habe dich im Kopf 
I’ve got you on my mind 

Du weißt, dass du meine Zeit hast 
You know you’ve got my time 

Hin und wieder, Baby 
Now and then, baby 

Hey, ich möchte, dass du es weißt
Hey, I want you to know

ich will dich heiraten 
I wanna marry you 

Wollen Sie das nicht auch? 
Isn’t that what you want too? 

ich will dich heiraten 
I wanna marry you 

Wollen Sie das nicht auch?
Isn’t that what you want too?

Ich verliebe mich in dich (ich bin in dich verliebt) 
I’m falling in love with you (I’m in love with you) 

Du lässt alle meine Träume wahr werden (lasst alle meine Träume wahr werden) 
You make all my dreams come true (make all my dreams come true) 

Ich verliebe mich in dich (ich möchte dich heiraten)
I’m falling in love with you (I wanna marry you)

ich will dich heiraten 
I wanna marry you 

Wollen Sie das nicht auch? 
Isn’t that what you want too? 

ich will dich heiraten 
I wanna marry you 

Wollen Sie das nicht auch?
Isn’t that what you want too?

ich will dich heiraten 
I wanna marry you 

Wollen Sie das nicht auch? 
Isn’t that what you want too? 

ich will dich heiraten 
I wanna marry you 

Wollen Sie das nicht auch?
Isn’t that what you want too?

Wer es jetzt noch nicht kapiert hat: Der Song ist ein Fall für MeToo!

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Sentimental Journey

Johann Peter Hasenclever, Die Sentimentale (Düsseldorf, Kunstpalast)

Ich wünscht‘ ich wär der Mann im Mond
Und schaut‘ zu dir hinunter.
Du träumt’st von mir, ich käm‘ zu dir
Und macht‘ Dich wieder munter…

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Aus dem Wörterbuch des Autokraten

Erinnert Ihr Euch noch an die „grünen Männchen“ auf der Krim 2014? Selbst nach diesem Ereignis haben viele den Fuchs nicht erkannt. Cicero und Machiavelli beschreiben beide die Phänomene Gewalt und Betrug, der eine sozusagen ein Vertreter des „alten Europa“, der andere Vordenker von Autokraten, die nach der Weltmacht greifen.

Warum konnte Putins Camouflage so lange funktionieren? Und sie funktioniert ja immer noch (Wagenknecht, Schröder, AfD, etc.). Ja, hat denn niemand diesen Fuchs als solchen erkannt? Diesen „guten Onkel“ mit dem vielen Öl und Gas? Nicht nur die Liebe macht blind. Auch das Streben nach Beqemlichkeit, der Wunsch nach der guten (mollig warmen) Stube…

Cicero, De officiis (I,41)

Cum autem duobus modis, id est aut vi aut fraude, fiat iniuria, fraus quasi vulpeculae, vis leonis videtur; utrumque homine alienissimum, sed fraus odio digna maiore. Totius autem iniustitiae nulla capitalior quam eorum, qui tum, cum maxime fallunt, id agunt, ut viri boni esse videantur.

(Wenn aber auf zweierlei Art Unrecht geschieht, nämlich durch Gewalt oder durch Betrug, dann passt der Betrug zum Wesen des Fuchses, die Gewalt zu dem des Löwen. Beides ist des Menschen überhaupt nicht würdig, aber der Betrug ist hassenswerter. Keine von allen Formen des Unrechts ist verderblicher als die derjenigen, die, wenn sie am betrügerischsten handeln, darauf aus sind, als gute Männer zu wirken.)

Machiavelli, Il principe (De pricipatibus, XVIII, 7 u. 8)

Sendo dunque necessitato uno principe sapere bene usare la bestia, debbe di quelle pigliare la volpe et il lione: perché el lione non si difende da’ lacci, la volpe non si difende da’ lupi; bisogna adunque essere volpe a conoscere e lacci, e lione a sbigottire e lupi: coloro che stanno semplicemente in sul lione, non se ne intendono. Non può pertanto uno signore prudente, ne debbe, observare la fede quando tale observanzia gli torni contro e che sono spente le cagioni che la feciono promettere.“ (XVIII, 7 und 8)

(Da nun ein Fürst notwendigerweise dazu in der Lage sein muss, gut von der Bestie Gebrauch zu machen, muss er von den Tieren den Fuchs und den Löwen wählen, denn der Löwe verteidigt sich nicht gegen Schlingen, der Fuchs verteidigt sich nicht gegen Wölfe. Daher muss der Fürst Fuchs sein, um die Schlingen zu erkennen und Löwe, um die Wölfe abzuschrecken; darauf verstehen sich die, die lediglich das Wesen des Löwen besitzen, nicht. Ein weiser Herr kann daher nicht – und soll es auch gar nicht – sein Wort halten, wenn eine solche Treue für ihn nachteilig wäre und die Gründe fortgefallen sind, die ihn zuvor dazu bewegten, sein Versprechen zu geben.)

(Zitiert nach Christoph Wurm: De principatibus – der Principe Machiavellis und Ciceros De Officiis)

(Die Abbildungen von Cicero und Machiavelli sprechen für sich. Was für ein Staatsmann… Was für ein Filou! Am Ende sind die Filous die weitaus Gefährlicheren…)

Günter Blamberger bringt in seiner Kleist-Biografie die Sache auf den Punkt, wenn er über „Hermann den Cherusker“ in Kleists Die Hermannsschlacht Folgendes anmerkt:

„“Echt“, „unverfälscht“ ist er (Hermann) gerade nicht, vielmehr beherzigt er eine Weisheit aus Machiavellis 1532 erschienenem Fürstenbrevier Il principe, dass ein Politiker, der nicht die Kraft des Löwen habe, von der „Fuchsnatur Gebrauch machen“ und diese zugleich „verschleiern“, also „ein großer Lügner und Heuchler“ sein müsse.“ (S. 371)

Voilà!

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Prinz, auf den Hund gekommen

Der Prinz von Homburg:
O Gottes Welt, o Mutter, ist so schön!
Laß mich nicht, fleh ich, eh die Stunde schlägt,
Zu jenen schwarzen Schatten niedersteigen!
Mag er doch sonst, wenn ich gefehlt, mich strafen,
Warum die Kugel eben muß es sein?
Mag er mich meiner Ämter doch entsetzen,
Mit Kassation, wenns das Gesetz so will,
Mich aus dem Heer entfernen: Gott des Himmels!
Seit ich mein Grab sah, will ich nichts, als leben,
Und frage nichts mehr, ob es rühmlich sei!
(Heinrich von Kleist, Prinz Friedrich von Homburg, III,5)

(Der Prinz hatte einen Befehl nicht korrekt ausgeführt und wurde vom Kurfürsten deshalb zum Tode verurteilt. Die hier zitierte Stelle wurde sehr lange bei Theateraufführungen gestrichen, weil sie so menschlich ist… Es widersprach einfach der Staatsraison, was der Prinz in einem schwachen Moment da von sich gab… Näheres dazu hier.)

Heinrich von Kleist
Kleist

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Ein kleines Monument

Er starrt sinnierend in die Ferne…


… ein wildentschlossener Möchtegerne.

In weißem Pelz und grünem Rock.
So ist der Doc!

PS: Erinnert Ihr Euch noch an dieses Wahlplakat der SPD zu der Landtagswahl 2009, auf dem Heiko Maas so wildentschlossen dreinschaute? Die Wahl wurde übrigens fulminant verloren. Auf späteren Bildern mit der großen Natalie Wörner wirkte der Heiko meist etwas verloren. Bruder im Möchtegern? Also, ich hätte die Natalie auch gerne gehabt, kein Scheiße.

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Car(m)en

Assozieren Sie doch einfach mal etwas zu dieser Überschrift. Na…….? Auto, Männer, Energie, schöne Frau, Talkshow, nicht divers, usw….

Letzten Sonntag hat die langjährige Tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga zum ersten Mal die Sonntagstalkshow nach dem Tatort moderiert. Kein leichter Job, denn Anne Will hinterlässt große Fußspuren. Nele Pollatschek berichtete in der Süddeutschen Zeitung darüber („Caren Miosgas neue Polit-Talkshow präsentierte eine Leuchte aus dem Hochsauerland. Und CDU-Chef Friedrich Merz.“ Hätte sie nicht einfach schreiben können, dass C.M. zwei Leuchten aus dem Sauerland präsentierte?). Friedrich Merz kam bei der Geschichte ganz gut weg, was Nele Pollatschek zu der Vermutung führte, dass sich jetzt Promis am Sonntagabend bei Caren Miosga die Klinke in die Hand geben werden. Die anderen Gäste waren die Zeit-Journalistin Anne Hähnig und der Münchener Professor Armin Nassehi, die beide ihren Standpunkt ausführlich und ungestört darlegen konnten. Bravo, Caren!

Nun zu Carmen, denn monolitische Posts können manchmal ein bisschen langweilig sein… Und ein Spiel mit Namen kann ein ebensoguter Kitt für einen Text sein wie z.B. Seelenverwandtschaft oder andere landschaftliche Homomorphien, wenn Sie mir folgen wollen…

Bis Mitte Januar gab es im Museum Folkwang, Essen, eine phantastische Ausstellung „Chagall, Matisse, Miró – Made in Paris“. Es wurden Druckgrafiken um das Jahr 1900 herum ausgestellt samt originalen Druckmaschinen und Dokumenten zu ihrer Entstehung. Mir persönlich hat ein Buch mit mehr als hundert Litografien und Holzschnitten von Pierre Bonnard mit Texten von Paul Verlaine („Parallélement“), besonders gut gefallen, und darin eine zart gestochene Litografie einer nackten Frau um einen Text herum mit der Überschrift „Séguidille“. Da war’s um mich geschehen, weil mir sofort zahlreiche Bilder von diversen Carmen-Aufführungen in verschiedenen Städten der Welt durch den Kopf schossen.

Betrachten Sie das hier also als etwas wie „Liebe in Zeiten der Cholera“… Ich bin jedenfalls nach dem Besuch in Essen an einem kalten Tag wieder nach Hause gekommen und hätte mich am liebsten zu meinen Katern ins Körbchen vor der Heizung gekuschelt, wenn bei ihnen noch ein Plätzchen frei gewesen wäre. Aber der Restplatz war bereits vergeben, die beiden hatten ihrem „Mäuschen“ schon ein wenig Platz gemacht…

PS: Kleiner Hinweis für die Flüchtigen: Die Bilder können vergrößert werden…

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Kunst und Leben

Grundlage dieser Glosse ist ein Interview, das Jakob Biazza mit Johann Scheerer und Omar Rodríguez-Lopéz im März 2021 geführt hat (SZ vom 31.03.2021). Beiden Musikern ist Leid geschehen. R.-L. lebte mit 17 eine Zeit lang aus Furcht vor (weiteren) Misshandlungen auf der Straße, Sch. hat die Entführung seines Vaters (Jan Philipp Reemtsma) miterlebt.

Sch. positioniert sich zu Beginn des Interviews eindeutig-zweideutig. Er sagt auf die Frage nach dem Einfluss von Leid auf die Kunst, Schmerz als Kraft für Kunst zu verstehen, sei absoluter Blödsinn. Fügt aber hinzu: Vielleicht werde ich auch im Laufe des Gesprächs meine Meinung ändern…

R.-L. dagegen hält Schmerz für die ureigene Wahrheit von Kunst und Kreativität und stellt die Gleichung auf Schmerz = Zerstörung. Und Zerstörung erst ermögliche Gesellschaften. Er sagt: „Wo der Mensch auftaucht, verschwinden Flora und Fauna, verschwinden die Tiere, die Bäume.“

Man kann das erst mal so stehenlassen, als puren Blödsinn.

R.-L. wird aber noch etwas konkreter. Er sagt: Der Mensch hat sich an die Spitze der Nahrungskette gesetzt. Aber dann begannen die Verteilungskämpfe, und so schufen wir Gesetze, deren Ursprung aber die Zerstörung sei. Das ist absolut nicht mehr nachzuvollziehen und man möchte das Interview schon beiseite legen, wenn dann nicht dieser Satz käme: „Aber der Ursprung von allem liegt in der Zerstörung. Beim Komponieren eines Songs ist es dasselbe.“

Vielleicht hat der Kerl ja an einem Hegel-Seminar teilgenommen und war von dieser Figur der Negation von etwas und deren Negation irgendwie begeistert. Aber seien wir doch gespannt darauf, wie er dieses Konzept auf die Musik anwendet.

Wenn R.-L. einen Song komponiert, hat er zunächst hunderte Versionen im Kopf. Dann zerstört er eine nach der anderen, die ihn übrigens alle glücklich machen, bis eine übrig bleibt, die dann gemastert und gepresst wird. Aber weil er beim Anhören dieser letzten Version wieder an alle anderen, die ihn so glücklich gemacht haben, denken würde, weigert er sich, seine eigenen Platten anzuhören. - Zum Glück verhalten sich normale Sterbliche anders. Denn wenn z.B. die Väter, die ihre Söhne betrachten, dabei an die Millionen Spermata denken würden, die zerstört worden sind, würden sie sich mit Grauen abwenden und nie mehr einen Blick auf ihre Nachkommenschaft werfen, da sie immerfort an all die verpassten Chancen für einen Supernachwuchs denken würden…

Dann kommt der Interviewer auf Mut zu sprechen. Denn beide Interviewten haben Dinge dann aufgehört und was Neues angefangen, als es eigentlich ganz gut lief. Man einigt sich auf den Begriff „Zuversicht“ und die beiden werden gefragt: „Wo kommt die her?“

Scheerer: „Von der Unvermeidbarkeit des Todes – so ironisch das klingen mag. Unterm Strich gilt: Wir werden alle sterben. Nichts wird daran etwas änderen. Nichts hat wirklich Sinn. Wenn aber nichts wirklich Sinn macht, kann man genauso gut alles tun.“

Erinnert verdammt an das berühmte Nietzsche-Wort: „Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.“ Aber nur auf den ersten Blick. Denn hinter einer solchend populärnihilistischen Aussage („Wir müssen sterben. Also hat das Leben keinen Sinn.“) verbirgt sich eigentlich eine verkappte und selbstmitleidige Sehnsucht nach Transzendenz.

Nichts ist wahr.

Alles ist erlaubt.

Leo hört Stimmen unterm Hut

Auch R.-L. möchte was zum Thema Zuversicht sagen. Er nämlich bezieht seine Zuversicht in Bezug auf das künstlerische Schaffen aus der Gewissheit, dass das, was er produziert, nichts mit ihm zu tun hat, sondern von Stimmen in seinem Kopf kommt, die ihm was von außen zuflüstern, was er tun soll. „Ich bin sehr gut darin, Befehle zu befolgen.“ So kann man Intuition und Kreativität auch beschreiben, wenn man es nicht besser kann… Und Scheerer assistiert mit einem Hinweis auf Michelangelo, der gesagt habe auf die Frage, wie man einen Löwen aus einem Stein erschafft: „Alles wegschlagen, was nicht nach Löwe aussieht.“ Dabei bemerkt er nicht, dass bildnerisches Schaffen etwas grundsätzlich anderes ist als Schreiben oder Komponieren, was schon daran zu ersehen ist, dass man eine Skulptur als Ganze erfassen kann, einen Text oder eine Komposition aber nur sukzessive in der Zeit.

Ich übergehe andere Dummheiten wie: „Schreibblockaden sind eine Ausrede fauler Künstler.“ Und gehe weiter zur Frage nach dem Verhältnis von Schmerz und Kunst. Für Sch. kann der Schmerz, den ein Künstler erlitten hat, nichts mit dem Kunstwerk, das er schafft, zu tun haben, da das einzige, was ihn antreibt, er, der Künstler, selber ist. In welchem Verhältnis diese Aussage aber zu der obigen steht, dass alles von außen kommt, bleibt leider völlig unklar. R.-L. betrachtet den Schmerz als eine „fühlende, lebende, atmende Energie im Universum“. Darum spielen Personen, die ihm einmal Schmerz zugefügt haben, für ihn keine Rolle. Man würde dieser Meinung oder Aussage, glaube ich, am besten psychologisch näher kommen können mit Hilfe des Konzepts der Verdrängung. Wer ihm wehgetan hat, wird verdrängt. Aber nun verbleibt immer noch ein nicht gefasster Schmerz, und der wird als Energie aus dem Universum hypostasiert.

Nachdem R.-L. über Schmerz als Energie gefaselt hat, fragt Sch.: „Schmerz ist in allem?“ Und R.-L. serviert die nächsten Banaltäten: „Alles braucht sein Gegenteil, um zu existieren. Kein Tag ohne Nacht, kein Schatten ohne Licht. Leben und Glück brauchen Zerstörung.“ Und er wird konkreter: „Ein Spermium muss ein Ei penetrieren, damit etwas entsteht. Es übt Gewalt aus. Ein Kind muss seine Mutter aufreißen, um geboren zu werden. Zerstörung ist Teil des Lebens.“ Mit diesem Verständnis von Gewalt ist es natürlich leicht, alles unter den Begriff der Zerstörung zu subsumieren. Hier wird eindeutig Metaphorik mit Sachlichkeit verwechselt. Mit einer Wurstigkeit, die sich als Welterkenntnis aufspielt.

R.-L. kommt beim Thema Schmerz doch noch ausführlich auf seine Mutter zu sprechen, obwohl ja angeblich bei diesem Empfinden Personen ganz ausgeblendet sind bei ihm. Seiner Mutter ging es kurz vor ihrem Sterben sehr schlecht. Trotzdem hat sie ihn noch gefragt: „Junge, hast Du auch was gegessen?“ Und weil sie ihn das noch gefragt hat, ist er Künsler geworden. – Man fragt sich allmählich, ob der Interviewer es darauf abgesehen hatte, die beiden jungen Leute zu desavouieren.

Sch. wendet nun ein: „Ist es nicht trotzdem ein grauenhaftes Klischee, wenn jemand behauptet, nur schreiben zu können, wenn er leidet?“ Das verleitet R.-L. dazu, aufzulisten, was zum Schreiben inspirieren sollte: ein Sonnenaufgang, die „Black lives matter„-Bewegung, neue Technologien oder auch der Umstand, dass man des Morgens beim Aufwachen noch beide Ohren hat. Ich glaube, Letzteres war der Versuch, einen kleinen Witz in die ansonsten so scherzfreie Unterhaltung einzustreuen…

Zum Schluss geht es um die Frage, ob Schmerz zu Hass führen kann. Sch.´s Antwort ist wohl biografisch bedingt, wenn er sagt, Finger weg vom Hass. Der kettet dich an den, der dir Schmerz zugefügt hat. – Hier denkt er wohl an den Entührer seines Vaters. Und R.-L. sagt dazu: „Wenn ich Menschen hassen würde, die mir Leid zugefügt haben, wäre das, als würde ich den Sonnenschein hassen oder die Luft.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht den Hinweis darauf, dass es wahrscheinlich besser ist, (gewisse) Musiker nicht zu ihrer Kunst zu befragen, da sie einfach nicht in der Lage sind, etwas Schlaues dazu zu sagen. Und ich möchte dem noch eine Vermutung hinzufügen. Es gibt großartige Interviews von großen Künstlern über ihre Musik. Darf man, wenn ein Interview derart Missliches zu Tage fördert, etwa Rückschlüsse auf die Musik ziehen?

Ein Kommentar

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