Monatsarchiv: Januar 2023

Ein folgenschweres Missverständnis

Es ist der 20.04.2007.
Raschid kam an diesem Tag auf einen Überraschungsbesuch. Kam nicht sehr häufig vor, wahrscheinlich brauchte er ein Alibi für einen Besuch bei seiner Geliebten. Meine Frau Eva kam zu uns in den Hof.

Ich mache eine Bemerkung, unsere Frauen betreffend: Sie machen immer noch gemeinsam Yoga. Gestern waren sie offenbar wieder zusammen dabei.

Nein, sagt Raschid, Christel war nicht dabei. Sie konnte nicht, da sie noch Probleme mit ihren Zähnen hatte. Sie hat neue Zähne bekommen. Aber die sind wirklich wunderbar.

Zähne wirklich wunderbar? Ich fand diese Bemerkung ein wenig abwegig, da eine solche Bewunderung der Mundwerkzeuge ja in den Schönheitsadressen unserer Gesellschaft nicht vorkommt oder zumindest sehr selten ist. Wer sagt denn schon: Du hast aber wunderbare Zähne?

Also habe ich ironisch reagiert und gesagt:

“Na, dann hat sie ja nun etwas, das wirklich wunderbar ist!”

Ich habe mich viele Jahre gewundert, warum Raschid kein Wort mehr mit mir gesprochen hat, mich gemieden hat. Ich konnte ihn telefonisch nicht erreichen, er hatte offenbar den Anbieter oder die Nummer gewechselt.

War das nun eine schwere Beleidigung oder ein ironisches Gespiele mit dem Wort “Wunderbar”? Sagen wir manchmal etwas in der einen Absicht, und in einer anderen, verborgenen, verraten wir etwas, das wir nie ins Gespräch bringen wollten?

Wie habe ich denn wirklich über Christel gedacht? Habe ich nicht doch die Wahrheit gesagt? Raschid jedenfalls hat das, was ich gesagt habe, für bare Münze genommen. Über meine wahren Gefühle lässt sich schwer urteilen. Ich fand Christel eigentlich immer schon in gewisser Weise attraktiv, also sexy. Aber eben nicht wunderbar…

Über Raschid lässt sich sagen, Geliebte hin oder her, dass er für seine Frau eingetreten ist, ist schon ok. Oder aber, er hat Schluss mit seiner Geliebten gemacht und brauchte keine Alibis mehr…

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Hurra, es hat geschneit! Und wir geraten poetisch ins Schwärmen…

(Zum Vergrößern bitte auf die Bilder klicken!)

Da draußen klammert Schnee sich an den Zweigen.
Wie`’s drinnen ausschaut, will ich keinem zeigen.

Mein Stuhl, er wackelt nicht, er ist ja voll von Schnee.
Doch sitzen kann ich nicht, wenn ich es recht beseh’.

Die Maus, es scheint, sie macht jetzt ganz auf Irokesen-Punk.
Mich geht das gar nichts an, ich sitz’ am Ofen – Gottseidank.

Ein Hutmacher, das ist der Schnee:
Für jede Form das passende Toupet.

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Onkelchen, mein Onkelchen

Michael Ostrowski, Der Onkel. Rowohlt, Hamburg 2022

„Wozu brauche ich Beine, wenn ich fliegen kann?“ – „Zum Landen.“

Dieser späte Witz (auf Seite 315) ist zumindest EIN Schlüssel zum Verständnis dessen, was Michael Ostrowski ausmacht, zum Verständnis also auch dessen, was den Grundton seines Romans angeht. Der Witz fliegt nämlich selber wie ein Albatros und landet auch wie einer, nach einem wahren metaphysisch angehauchten Flug, voller Mut und Selbstgewissheit, kommt die Landung: Stolpernd, watschelnd, einfach zum Lachen. Aber man lacht ja nicht über den Vogel, sondern ist irgendwie dankbar für diese lustige Darbietung.

Im Grunde ist das ja auch das Prinzip der Eberhoferkrimi-Reihe mit Sebastian Bezzel und Simon Schwarz in Hauptrollen, dieser „urbayrische Klamauk“ (Prisma), in dem Michael Ostrowki fast unerkannt den Pathologen spielt, und aus dem er Simon Schwarz (hier Privatdetektiv) ausgewählt hat, um in der Verfilmung seines Romans den Nachbarn des „Onkels“ zu spielen, einen Polizisten, dem Widerwärtiges widerfährt und der gute Miene zum bösen Spiel machen muss. Mehr will ich dazu nicht verraten. 

Wenn Schauspieler anfangen, Bücher zu schreiben (meist Biografisches, Egoerbauliches), denkt man oft: Oh Schuster… – Bei Michael Ostrowski ist es umgekehrt. Hat man sein erstes und bisher einziges Buch gelesen, denkt man; Komm mal runter von der Bühne (oder vergiss doch diese Krimi-Reihen; in der Reihe „Ein Krimi aus Passau“ spielt der den Privatdetektiv Ferdinand Zankl) und schreib uns mal wieder was!

Mehr zu diesem phantastischen Buch unter Reflexe und Reflexionen.

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Schon wieder wandert jemand nach Italien

Willi Winkler: Herbstlicht. Eine Wanderung nach Italien (November 2022)

Wer ist Willi Winkler?

„Willi Winkler ist ein deutscher Journalist, Übersetzer, Autor und Literaturkritiker der Süddeutschen Zeitung.“ (Wikipedia)

Was hat mich veranlasst, ein Buch von Willi Winkler zu kaufen?

Willi Winkler kommt in der Süddeutschen Zeitung oft zum Zuge, wenn etwas ausgefallenere Themen zu bewältigen sind, solche über den Rand der Gesellschaft oder auch die Kanten der Kultur. Dabei verfährt er immer recht kenntnisreich und überrascht dabei immer mit frischen, unverbrauchten oder nie gebrauchten Formulierungen. 

Bei letzterem kommt ihm dabei wahrscheinlich zugute, dass der Gegenstand, über den er schreibt, geradezu die Herausforderung zu einem solch kreativen Zugang darstellt.

Was aber ist, wenn er über Dinge schreibt, die eigentlich langweilig sind? Zum Beispiel über einen Fußmarsch von Wittenberg nach Mailand, bei dem einem ja naturgemäß nur alltägliche Dinge begegnen, die das Leben ausmachen, und die dabei ja extrem kontingent sind in ihrer zeitlichen Folge?

Willi Winkler scheint dabei ganz auf die Macht seines gewohnten Sprachstils und auf die Wirkung von detailliert präsentierten kulturellen Begebenheiten zu vertrauen. Ersteres verspricht dem Leser eine gewisse Freude, ein Wohlbehagen, weil ihm die schönen Wörter nicht auf der Zunge, sondern quasi im Ohr zergehen, letzteres nötig ihm eine gewisse Bewunderung ab und führt schließlich zu einem kleinen Stolz, teilhaben zu können an so viel Schönem und Interessantem…

Ich kann es kurz machen. Willi Winkler bricht im Herbst 2020 oder 2021 von Wittenberg auf, um zu Fuß durch Deutschland (also Thüringen, Baden-Württemberg und Bayern), über die Alpen und bis Mailand zu gehen. „Italien war zuerst kaum mehr als ein Gedanke, eine spinnerte Idee, der Wunsch, an Ort und Stelle aufzubrechen und loszugehen. Wohin? Einfach nach Süden und möglichst weit. In Italien müsste man jetzt sein, aber wie kommt man dahin? Fahren kann jeder Depp, und jeder zweite tut es auch.“ Aber gehen sei etwas ganz anderes. Es sei langweilig, habe keine Höhepunkte, sagt der Autor. Goethe sei natürlich mit einer Kutsche nach Italien gereist, dieses Vorbild aller akademisierten Italienfahrer. „Also gehen, fortgehen, immer weitergehen.“ So beschließt es der Autor.

Warum also diese Wanderung? Warum er dieses Buch schreibt ist klar. Willi Winkler wollte natürlich aus diesen 1 ½ Monaten Tätigkeit Kapital schlagen. Aber warum er 1.300 km zu Fuß bis nach Mailand geht, wird aus dem, was wir vom Autor erfahren, nicht ganz klar. Er sagt als Erstes: „Italien!“ Tut das als „spinnerte Idee“ ab und fragt „Wohin?“. Dann sagt er „nach Süden“ und „weit weg“. Wer „weit weg“ will, fürchtet sich vor dem „Hier“. Also ist hier nichts anderes als eine Flucht geplant. Und bei der Frage des Wohin fällt ihm sogleich Italien ein, ein Ort zum Wohlfühlen, wenn man sich wie Goethe von einer Frau (von Stein) bedrängt fühlt. 

Halten wir also fest: Willi Winkler will abhauen, weil er Probleme mit einer Frau hat. Er wählt als Ziel der Flucht Italien, weil es da geliebte literarische Präzedenzfälle gibt. Und er geht zu Fuß, weil er sich mit seinen 65 Jahren noch etwas beweisen will (“Fahren kann jeder Depp”). (Was den Schluss nicht unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass bei seiner Rückkehr von diesem Alpenspaziergang eine junge Geliebte in München auf ihn wartet… Oder eine Vulpius?)

Ich werde demnächst ein paar weitere Lesefrüchte dieses Buches unter „Reflexe und Reflexionen“ ausbreiten.

Ist inzwischen passiert: https://wp.me/P24xNR-5m

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