Auf Leo Läufer’s Baustelle gibt es eine Rubrik “Text und Bild”, die sehr unterschiedliche Weisen eines solchen Zusammenführens enthält..
Ich will hier in einer lockeren Folge einzelne Bildausschnitte der Hogarthischen Kupferstiche und diesbezügliche kongeniale Kommentare von Georg Christoph Lichtenberg vorstellen (Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe III, München 1972), die in ihrer satirisch-locker-geistreichen Art kaum zu überbieten sind, und beginne heute mit einer Szene auf dem linken unteren Rand des Bildes mit dem Titel “Herumstreichende Komödiantinnen, die sich in einer Scheune ankleiden”.
(Die Bilder können meist vergrößert werden, wenn man darauf klickt!)
High Heels
Hier geht es im Grunde um ein sehr modernes Thema, aber offenbar schon lange bestehendes Phänomen, nämlich High Heels.
Lichtenberg fragt sich, ob in dieser Scheune wirklich nur Komödiantinnen untergebracht sind oder sich womöglich auch Komödianten dazugesellen. Zum hier abgebildeten Bildausschnitt bemerkt er nun u.a.:
Der Adler hat hier keine Krallen, aber dafür Frauenzimmer-Füße. Der Unterschied ist nicht so groß, als er scheint. Es bleiben >Fang-Füßchen< vor wie nach, wenigstens wird das Schicksal der jungen Hasen durch den Wechsel um nichts gebessert.
Der Pastor
Im nächsten Bild wird eine Punschgesellschaft dargestellt, in der Zecher aller Stände bereits völlig betrunken ihrem feucht-fröhlichen Vergnügen nachgehen. Ich knöpfe mir hier einen Ausschnitt aus Lichtenbergs Kommentar zum Pastor vor.
Kein Papst und kein Erzbischof, der sich nicht schämte betrunken zu sein, würde sich schämen dürfen es so zu sein, wie dieser Auserwählte. Mit welcher Würde er nicht rührt und schöpft und mischt und raucht! O! es hilft, wenn man die Mienen und den Körper überhaupt tagtäglich einige Stunden nötigt Würde und Anstand zu halten, während der Geist entweder das Gegenteil machiniert oder nicht bei der Hand ist. Sie lernen am Ende den Dienst allein versehen; so wie gut zugerittene Dragonerpferde die Schwenkungen noch mitmachen, wenn ihre Reuter längst im Graben liegen.
Mamsell vor den Zeiten von #metoo
In den folgendenBildern stellt Hogarth die vier Tageszeiten dar. Es folgt hier also der Morgen, der Morgen auf einem Marktplatz, das Bordell vor der Kirche, und im Zentrum schreitet da eine Mamsell, gefolgt von ihrem Bedienten.
Die Hauptfigur des ganzen Blatts…ist – die schöne Fußgängerin in der Mitte. Man sieht, sie ist schon etwas weit über das erste Stufenjahr der Betschwesterei hinaus, deren beiderlei Pflichten gegen den Himmel ud den Nächsten, sie an diesem Morgen teils geübt hat, teils zu üben willens ist. Sie ist auf dem Weg nach der Kirche, und das zu einer Zeit des Tages sowohl als des Jahres, wo schon der Entschluß so was zu tun, eine Salbung verrät, die nie einem ganz sündigen Herzen zu Teil wird. Und wie sehr hat sie nicht für den Nächsten gesorgt! Denn für sich selbst putzt man sich doch fürwahr nicht so… Die Dame ist nicht allein unverheiratet, sondern auch nie verheiratet gewesen… Wer lange Mamsell gewesen ist, mit allem dem kleinen Geflitter, das dieser Stand leider notwendig macht, gewöhnt sich endlich daran, ja die Zierereien nehmen zu, weil sie immer nötiger werden, und endigen sich nur allein mit dem Tode der Mamsellenschaft, oder der Mamsell.
Der Knabe, oder was es ist, hinter ihr, ist ihr Bedienter… Unter seinem Arm trägt er ein starkes Gebetbuch, vermutlich den einzigen Trost, den ihm die Dame wider alles … Ungemach gewährt. So machen es die alten, reichen Tanten, vorzüglich um die Brütezeit über dem Testament; sie hecken dann auch besser.
High Noon – Duell mit Frankreich…
Das nächste Bild zeigt den Mittag vor der französischen Kapelle in Hog-lane St. Giles in London. Hogarth hegte einen Franzosenhass. Darum wählte er diese Szene mit einem französischen Tanzmeister…
Die Tür der französischen Kapelle ist geöffnet, und die geistliche Herde strömt, mit dem >Wort< beladen, aus derselben hervor. Die meisten Mitglieder sind so gezeichnet und bezeichnet, daß man glauben sollte, irgend ein reisender Wunderdoktor habe hier seine klinische Session gehalten, und so eben das wandelnde Hospital dimittiert. Die männliche Figur ist vermutlich ein Tanzmeister, wie denn nach Hogarths Prinzipien der größte Teil der französischen Nation aus Tanzmeistern bestund. Ist er es nicht, so verdiente er es zu sein…. Die ganze Figur hast unglaublich viel Zärtliches und Süßes, wenigstens von Seiten des Willens. Sie steht in einem Menuet-Pas; die linke Hand ist etwas abwärts gesenkt und am Gelenke wieder rückwärts gebogen, voll unverkennbaren Ausdrucks von Unterwürfigkeit gegen die Dame.
Frischfleisch
Die folgenden Stiche Hogarths befassen sich mit dem “Weg der Buhlerin”. Im ersten Bild ist eine junge, sehr junge Frau zu sehen, die von ihrem Vater nach London gebracht wurde und noch nicht ahnt, was sie erwartet. Sie kommt in einer düsteren Gasse an und wird von einer Kupplerin empfangen. In der Tür des unzweideutigen Hauses steht ein Mann, der mit “kostenden Lippen” die Ankunft der Buhlerin beobachtet.
Der Mann da mit einem Fuße im Hofe und mit dem anderen noch im Hause; die linke Hand auf einen Stock gestützt und mit der rechten in einem Privatgeschäft begriffen, ist der berüchtigte Obrist >Charters<. Wer da weiß mit welcher Leichtigkeit Hogarth Gesichter und Formen traf, den muß es freuen, auf diesem Blatt die Physiognomie und die Figur eines der größten Schurken aufbewahrt zu sehen, die der Grabstichel je verewigt hat. Es kommen in unserem >Drama< unter den handelnden Personen zwei vor, die beide am Galgen gestorben sind, aber dieser Mensch ist nicht darunter; nicht als wenn er minder hängenswert gewesen wäre. Nichts in der Welt weniger. Er wurde bloß deswegen nicht aufgeknüpft, weil er zu den unzähligen Betrugskünsten, die zum Galgen führen, und worin er Meister war, noch sehr weislich die hinzustudiert hatte, selbst den Galgen um seine Gebühren zu schnellen. Nie ist wohl ein Galgen mehr beeinträchtigt worden, als an dem Tage, da diese Bestie auf dem Bette starb.
Ein peinliches Zufrüh-Stück
Unsere Buhlerin hat es inzwischen zu etwas gebracht. Ein Jude hat ihr ein Zimmerchen eingerichtet, wo er sie zu allen Zeiten aufsuchen kann. Doch eines Tages erscheint er zum Frühstück, als noch ein anderer Liebhaber im Zimmer ist. Dieser schleicht sich zur Tür hinaus, während sie ihren reichen Lover abzulenken versucht, damit dieser nichts merkt. Zu diesem Zweck stößt sie mit dem rechten Fuß den Tisch um, so dass Teekanne und -tassen zu Boden fliegen.
Größere Impertinenz, in den Augen des Mädchens, noch in ihren Zehnen, größere Geübtheit in allen Künsten der Buhlerei, mit Bewußtsein eines größeren noch ungebrauchten Vorrats im Hinterhalt, läßt sich schwerlich anders mit so wenigen Strichen ausdrücken. Im ganzen Gesicht keine Falte und kein abstechender Schatten, und doch wie >sprechend! “Sieh, Muschel, nicht So viel, achte ich dich und deinen elenden Plunder; da liegt er”<; und dabei wird mit einem >Schnippchen< genau gemessen, wie viel sie den Plunder achtet.
Kinderarbeit
Auf dem folgenden Bildausschnitt sehen wir wieder die Buhlerin, die im Gefängnis dazu verurteilt ist, Hanf zu klopfen. Neben ihr vermutet Lichtenberg ihren Schwindel-Komplizen, und daneben (Ut, Re, Mi) ein junges Mädchen, ein Teenie (“Zehner”), dessen Schicksal Lichtenberg offenbar nicht unberührt lässt.
Auf >Re< folgt >Me<, ein bloßes Kind, der erbarmungswürdigste Gegenstand auf diesem Blatt. Kaum in die >Zehne< getreten, ist es schon unter diesem Dach und büßt für Verbrechen, wovon es keinen Begriff hatte, und wovon man ihm bloß Begehungs-Formen einpeitschte, wie dem Pudelhund seine Kunststücke. Wer aus dem Wohnsitz der Tugend, ich meine aus den kleinen Städten Deutschlands, nach London kommt, dem muß das Herz bluten, wenn er an einem Abend sich von solchen Geschöpfen von zwölf, dreizehn Jahren, herausgekleidet wie Ballettschäferinnen, angefasst und mit theatralisch-zärtlichen Umarmungen aufgehalten sieht. Es geht über alle Vorstellung. Sie sprechen mit kindlich-liebreichen Stimmchen und einer Volubilität die offenbar von Auswendiglernen zeugt, über Dinge, wovon sie sicherlich kein Wort verstehen. Man würde sie daher fast für >Konfirmanden< halten, wenn alles dieses nicht aus einem Katechismus hergesagt würde, dergleichen nur … der Teufel verfassen kann.
Undertaker und Kloster-Jungfrau
Nachdem die Buhlerin also gestorben ist, wird um sie getrauert: Am offenen Sarg, der von zwei zweideutigen Herren und einer Reihe von Geschäftspartnerinnen oder -konkurrentinnen, also Kloster-Jungfern, umringt wird. Ich zeige hier den Ausschnitt mit dem Leichenbestatter (Undertaker), der die Gelegenheit beim Schopfe packt, bzw. beim Arm…
Der Herr Undertaker, der einer Kloster-Jungfer einen Trauer-Handschuh anziehen hilft, nützt diese vorteilhafte Gelegenheit dazu, ihr eine kleine Supplik von ziemlich verständlichem Inhalt zu überreichen, und tut es mit so vielem Anstand und so vieler demütigen Herzlichkeit, daß sie unmöglich unerhört bleiben kann. Wirklich ist auch bereits so was wie ein Widerschein von gnädiger Erhörung selbst im Auge des Supplikanten, obgleich das Zeichen selbst verborgen ist. Vermutlich gab er aber seiner Hilfe beim Anziehen selbst die Form einer Frage, und dadurch Gelegenheit zu einer Antwort, die schlechterdings unsichtbar bleiben mußte. Der Kontrast in diesen beiden Gesichtern ist vortrefflich. Der Undertaker hat weiter keinen Plan, als den, den Auge und Mund verraten, er ist durchaus konzentriert, und so einseitig wie möglich; – jetzt wenigstens. Dem Mägdchen hingegen sieht die Universalseitigkeit und der Plan aus dem Auge. So trübe es immer scheint… es ist Methode darin, die sich durch deutliche Spuren von triumphierendem Lächeln über die Blindheit des gefangenen armen Teufels, jedem verraten würde, der dieser Tropf nicht selbst ist.
Ein alter, reicher, stinkender Geizhals
Die folgenden Kupferstiche tragen den Titel “Der Weg des Liederlichen”, und man sieht auf der ersten Platte diesen Liederlichen kurz nach dem Tod des Vaters (s. Überschrift) im Arbeitszimmer seines Vaters, wo er sich einen neuen Rock anpassen lässt. Lichtenbergs satirisches Genie lässt sich auch daran erkennen, dass er nicht nur die “zentralen” Dinge kenntnisreich und witzig beschreibt, sondern sich auch um Details am äußersten Bildrand kümmert, wie hier z.B.:
Vor der eisernen Kiste (>strong Box<), in welcher das gemünzte Gold zu Tausenden liegt, und in deren ungemünztem Metalle sich der Tag der Erlösung spiegelt, steht das >andere Haustier<, die verhungerte Katze, jammernd über den kalten >Silberblick<. Ihr Fußschemel ist ein Buch, vermutlich ein Gebetbuch, und ihre linke Vorderpfote ruht auf Guineen-Säckchen mit 2000 und 3000 bezeichnet. ArmerRips! Wem fällt bei dir nicht der Araber eine, der dem Hungertod nahe, wie du, endlich in der Wüste, worin er irrte, ein stramm gefülltes Säckchen fand. Er betastete den Fund. Tausend Dank dem Himmel, rief er aus , >Reis, Reis!< Nun löste er die Schnur, und fand in der Welt weiter nichts, als einen unermeßlichen Schatz von – >Perlen!< Ach >nur Perlen<, seufzte er, und stieß mit Verzweiflung den unnützen Plunder zurück.
Vom Blasen des Waldhornisten
Die zweite Platte vom “Weg des Liederlichen” zeigt den Sohn des gestorbenen Geizhalses, der sich nun eine Ausbildung gönnt. Dazu hat er diverse “Künstler” zu sich nach Hause eingeladen, einen Klavierlehrer, einen Geigenmeister, einen Fechtmeister und nicht zuletzt einen Waldhornisten, die ihn auf die feine Gesellschaft vorbereiten sollen. Ich präsentiere nur eine Randfigur, den Waldhornisten, der rechts neben einem Schurken steht, der sich als eine Art Bodyguard empfiehlt. Bemerkenswert, was Lichtenberg über diese unscheinbare Randfigur zu sagen hat.

Hinter dem Bravo steht der Waldhornist, mit der linken Hand in den Hosen… Musik ist für Seelen-Verwandtschaften, was Wärme für den Körper ist; sie dehnt aus und verfeinert durch Ausdehnung; was sich sonst abstieß oder in oder Berührung neben einander lag, fängt an seine subtileren Stoffe zu mischen, und so fließt am Ende das ganze zusammen. Die Ehen werden im Himmel geschlossen, sagt man; im Himmel, und wenns da nicht geht, auf Tanz- und Konzert-Sälen. Dieser Waldhornist ist sicherlich nach der Natur gezeichnet. Eben weil er die Hand in den Hosen stecken, und dieses zu verbergen ein Paar der untern Knöpfe seines Rocks zugeknöpft hat; so muß Hogarth einen Mann so blasen gesehen haben. Vielleicht war ihm gar die Ursache dieser Stellung selbst nicht einmal bekannt. Aber ich erinnere mich, in meiner Jugend sehr oft einen Waldhornisten gesehen zu haben, der gerade so stand, wie dieser hier, wenn er blies, und von diesem wußte ich gewiß, daß er es tat, um sich keinen Bruch zu blasen, oder eigentlich das Band zu unterstützen, das er eines Bruchs wegen trug, den er sich bereits geblasen hatte. Bei diesem war die Absicht des Handgriffs nicht zu verkennen, denn wenn er auch zuweilen beim >piano< unterblieb, so war er beim nächsten >forte< immer wieder da, und da ließ es dann, als wollte der gute Mann während seines Spiels nach der Uhr sehen. Es war aber bloß mit dem Blasebalg nicht richtig.
Klavierspieler
Hier ein weiterer Dienstleister des neu erschaffenen Geschäftsmannes, des Liederlichen…
Vor dem Klavier sitzt ein wahrscheinlich nicht mehr junger und, von hinten wenigstens, ganz respektabler Mann.
Nun ist er von Sinnen…
Der Liederliche muss natürlich nach den Strapazen der Höheren Bildung nun einmal so richtig entspannen und verwandelt sein Wohnzimmer in einen Harem. Auf dem hier gezeigten Ausschnitt ist zu erkennen, dass der Jüngling Vollkost genossen hat und im Vollrausch vollkommen ausgenommen wird. Die Dame, die eine Hand in seinen Hemdausschnitt steckt, um seinem Herzen näher zu sein, reicht mit ihrer anderen Hand die Taschenuhr des jungen Mannes weiter an eine Kollegin. Am Ende wird alles gerecht geteilt…
Da sitzt er nun, oder das wenige, was noch von ihm übrig ist; fürwahr sehr wenig. Von sechs Sinnen, die er mitbrachte, ist fast keine einzige Nummer mehr da, und die Restchen der nicht ganz entwichenen sind gar der Rede nicht mehr wert… Welche Seligkeit in diesem Gesichte! Der ganze kümmerliche Rest von Zeichensprache, die noch um diese Lippen schwebt, scheint bloß gesammelt, um dem Beobachter das unbeschreibliche Glück der Sinnlosigkeit begreiflich zu machen.
Sir, you’ll lose your handkerchief!
Auf dem vierten Kupferstich dieser Serie wird dargestellt, wie der Liederliche verhaftet werden soll, da er offenbar seine Schulden nicht beglichen hat. Ich beschränke mich hier mit einer kleinen Szene, wieder am Rande des Bildes, die von Lichtenberg dazu benutzt wird, über den Tatbestand des Stehlens zu reflektieren. Es geht um einen der Burschen, die da zufällig auf der Straße sitzen, als die Verhaftung erfolgt.
Er stiehlt dem armen Halbgefangenen das Schnupftuch aus der Tasche. So erklärt man diesen Auftritt gewöhnlich. Ich habe auch nichts dagegen; nur wollte ich unmaßgeblich raten, mit dem Gebrauch des Worts >stehlen< nicht so in den Tag hinein zu hausen, und jedes Erwerbsmittel ohne Tausch gleich für Diebstahl zu erklären, und dadurch die Zahl der ehrlichen Leute in der Welt auf die Hälfte zu reduzieren. Die unendliche Fingerfertigkeit der englischen sogenannten Taschendiebe verdient den Namen von Dieberei wahrlich nicht. Wirklich tut der Knabe hier nicht mehr als jeder Dornenstrauch in einer Hecke am Wege; er raubt nicht durch >ziehen<, sondern durch >gezogen werden<, und eine Plünderung durch bloße Reaktion ist eo ipso keine Plünderung mehr. Im Grunde ist es der Gerichtsdiener, der dem Schnupftuch seinen Herren raubt. Man weiß dieses in London auch recht gut. Wenn jemanden das kleinste Endchen seines Schnupftuchs aus der Tasche hängt, so sagt ihm der erste Mann, der ihm begegnet: Sir, you’ll lose your handkerchief, >Sie werden Ihr Schnupftuch verlieren<, und nicht >man wird Ihr Schnupftuch stehlen<. Pfui, wer wird so was sagen?
Kuckucksuhren für das Amen in der Kirche…
Auf der 5. Platte des Wegs des Liederlichen ist eine Verehelichung zu sehen. Der Liederliche heiratet nämlich ein älteres Fräulein, das ihn vor dem Schuldturm bewahren soll. Ein Auge hat sie nur und Schönheitspflästerchen, was Hogarth Gelegenheit gibt, über die Anteile von Natur und Kunst bei der Entstehung oder Herstellung weiblicher Schönheit nachzudenken. Wir zitieren indes seine einleitenden Worte zu dem von ihm so genannten Liturgie-Uhren, dem Pastor und dem Küster.
Vor dem Brautpaare stehen, wie zwei >Liturgie-Uhren<, der Herr Pastor und der Küster; sie sind beide auf Trauung gestellt, jener der >Regulator<, dieser der >Zähler<. Wirklich ist auch der englische Küstendienst einer von denen in der Wet, die gewiß eingehen werden, so bald Herr v. Kempelen mit seiner Sprechmaschine zu Stande kommen wird; und schon jetzt, sollte man denken, könnte eine Uhr mit >Amen<, nicht viel schwerer sein als eine mit >Guckguck<. – Man glaubt, man hörte den Mann sein langweiliges >Amen< blöken. Indessen, durch das kalte Dienst-Gesicht durch, bemerkt man denn doch ein kleines Glimmern von Schelmerei. Ich fürchte, es ist über das >Semisäkular<-Fest, von dem man hier spricht, als wäre es der Stiftungstag.
Anmerkung: Wolfgang von Kempelen: Mechanismus der menschlichen Sprache nebst der Beschreibung seiner sprechenden Maschine. Wien 1791
Vom Streit ohne Worte zum Bruderkuss
Die 6. Platte stellt einen Spielsalon dar, und der Liederliche hat offenbar alles verspielt und ist verloren. Er ist nicht der einzige. Der hier gezeigte Ausschnitt zeigt zwei Männer, die offenbar in Streit entbrannt sind um Gewinn oder Verlust.
…weil es Köpfen in schweren Fällen, wie dieser, unmöglich ist, sich einander mittelbar durch Worte verständlich zu machen, so ist das Vernünftigste, was sie tun können, daß sie sich von Angesicht sprechen und ihre Gründe mit den Schädeln, worunter sie liegen, zugleich gegen einander anrufen lassen. Die Methode ist vortrefflich, und man hat Ursache zu glauben, daß es mit manchen Streitigkeiten in der Welt, zumal den gelehrten, nicht so weit gekommen sein würde, wenn man sie auf diesem Wege auszumachen versucht hätte. Denn erstlich fiele auf einmal aller Wortstreit, und folglich 9/10 aller Streitigkeiten von selbst weg, und dann hat das Äußere, wenn man dabei mehr sanft gedruckt, als gestoßen würde, etwas sehr Gefälliges, nämlich das Ansehen von Bruderkuß, zu welchem es auch gewiß bald führen würde.
Pünktlich zum Fall (von) Strache etwas über Kuhhandel im alten England…
Auf dem ersten Kupferstich dieser Serie geht um den Abschluss eines Ehevertrages zwischen einem Grafen, dessen Stammbaum angeblich auf Wilhelm den Eroberer zurückgeht, der aber vollkommen pleite ist, und einem bürgerlichen Geschäftsmann (im Text der “Adlermann”), der dem Grafen im Zuge dieses Handels die Hypothek-Urkunden zurückgibt und außerdem noch eine Menge Geld über den Tisch schiebt. Beide haben etwas, was der andere nicht hat, durch dessen “Erwerb” jedoch eine deutliche win-win-Situation entsteht. Der Adlermann bekommt den Sohn des Grafen zum Schwiegersohn, der Graf die Tochter des anderen zur Schwiegertochter.
Erstaunlich ist, welche Schlussfolgerungen Hogarth zu ziehen im Stande ist aus der bloßen Beobachtung einiger Details – im ersten Auschnitt der Stellung und dem Zustand der Beine und Füße, im zweiten Ausschnitt der Art und Weise, wie die frisch Verlobten auf ihren Sesseln sitzen.
Die Gruppe am silbernen Tisch ist wohl einer näheren Betrachtung wert. Der Adlermann wie er da sitzt, durchaus gespannt, aufmerksam und geschäftig. Seine Füße scheinen es gar nicht einmal zu merken, dass er sitzt. Die Schienbeine etwas übersenkrecht, wie auf dem Sprung, die Füße parallel, die Schuhe firm mit einem Paar derben Börsen-Sohlen stehen fest, wie sein Kredit. Die Füße des Lords, stehen auch fest, leider! leider! so wie sein Kredit. Der rechte, zwar noch nicht ganz im Grabe, doch tief gebeugt im Sack und in der Asche, und der linke erbärmlich durch das Gitter seines Lazaretts blickend. Was diesem noch etwas Ansehen bist, ist bloß der Kontrast mit dem leidenden Bruder.
Der Bräutigam, schwebt er nicht über dem Sitz, leicht wie der Frühlings-Gott über der Silberwolle eines Tauwölkchens? Die Braut hingegen, sitzt sie nicht völlig da in der Stellung eines Hausknechts, der den Deckel eines allzuvollen Koffers, noch durch einige derbe Final-Stöße mit dem Sitz-Ende, zum Schluss bringen will? Jener sitzt oder scheint zu sitzen, als fürchtete er Nadeln in der Unterlage, diese, gerade umgekehrt, als merkte sie darin eine Leere zum Ausfüllen, und solche Sitze gibt es in der Welt.
Von Guckgucks- und Katzenuhren
Die zweite Platte „Heirat nach der Mode“ zeigt den jungen Grafen und seine inzwischen geadelte junge Frau an einem Morgen, da er gerade von einem auswärtigen Stelldichein nach Hause kommt, und sie offenbar einen ausgiebigen Whist-Abend mit ein paar hübschen Männern hinter sich gebracht hat. Ich zeige einen Ausschnitt auf der linken Bildseite, auf dem man den ausgemergelten Blick des jungen Mannes noch erkennen kann, einen Teil des mit Kitschgegenständen geschmückten Simses und eine Wanduhr, deren Beschreibung Ausdruck bösen Spottes über den mangelnden Sinn für das Schöne (außer junge Frauen) solcher Herrn von Adel ist.
So verächtlich die Uhr da oben mit ihren Fischen in den Bäumen und mit ihrer Katze unter den Fischen aussieht, so wäre es doch möglich, daß sie nicht bloß das größte Kunstwerk in diesem Zimmer, sondern oben drein das größte Meisterstück der Uhrmacherkunst wäre. Ich glaube nämlich aus der feierlichen Stellung der Katze, die nichts weniger als müßig da zu sitzen scheint, schließen zu können, daß diese Uhr eine Katzen-Uhr ist, die die Stunden maut oder miaut, so wie man Guckgucks-Uhren hat, die sie rufen.
Lichtenberg erwähnt dann noch, dass er auch von Uhren gehört habe, auf denen Hunde die Stunden abbellen, und andere, auf denen Schweine die Stunden in kurzen Stößen grunzen…
Medizin und Mumien
Auf der dritten Platte macht Hogarth uns mit einem Besuch des jungen Grafen bei einem Mediziner bekannt, da jener sich von diesem betrogen fühlt wegen der Verabreichung von Pillen, die bei Geschlechtskrankheiten helfen sollen, aber offenbar nichts genützt haben. Auch Hogarth scheint der sog. Heilenden Fakultät nicht allzuviel zuzutrauen, wenn man Lichtenbergs Deutungen Glauben schenken will.
- Neben den Giftschrank hat Hogarth, wie mich dünkt, vortrefflich, zwei Mumien hingestellt. Sie sehen offenbar mit stolz-vortrefflichem Blick auf alles Quacksalber-Gewühl und allen Arzneien-Wust dieser Welt, aus ihrer unendlichen Sicherheit, und nach ihrem tausendjährigen Frieden mit der heilenden Fakultät, herab; und das kann man auch, wenn man — eine Mumie ist.
Von Friseuren und gewissen Vögeln
Auf der vierten Tafel der “Heirat nach der Mode” ist zu sehen, wie man sich im Haus des Protagonisten auf eine Maskerade vorbereitet. Der von mir gewählte Ausschnitt zeigt die junge Madame mit ihrem Liebhaber, hinter ihr steht ihr Friseur. Der gehörnte junge Ehemann sitzt mit Lockenwicklern (“Hörnchen”!) auf der anderen Seite des Raumes. Man lauscht einer musikalischen Darbietung von Querflöte und Gesang oder unterhält sich auf charmante Art und Weise. Lichtenberg gießt einen Kübel Spott aus über den “französischen” Friseur.
(…) Dieses führt auf dem natürlichsten Wege zu einer kleinen Bemerkung über die Barbier und die Friseur. Es ist unglaublich, zu was für großen Zwecken sich die Natur dieser sonst unbedeutenden Wesen bedient. So wie manche Insekten befruchtenden Blütenstaub nach Blumenkelchen tragen, die, ohne diesen Dienst, unfruchtbar geblieben wären, so tragen diese Menschen Familien-Anekdötchen von Ohr zu Ohr zur Beförderung einer Menschenliebe, die ohne diese Vermittler nie erweckt worden wäre: oder schicklicher vielleicht: wie gewisse Vögel unverdaute Samenkörner in unzukommliche Höhen zur Beförderung physischer Vegetation tragen, so tragen sie zur Beförderung einer gewissen moralischen, manches Anekdoten-Körnchen aus den Tiefen der Stadt in die höhern Regionen derselben. Die Sache hat wirklich Ähnlichkeit und der ganze Unterschied liegt hauptsächlich in der geringen Verschiedenheit der Organe, womit beide den unverdauten Stoff an die Behörde absetzen.
Rein und Raus
Im Mittelpunkt der fünften Tafel von “Die Heirat nach der Mode” stehen der junge Lord Squanderfield und Lady Squanderfield. Er hat sie soeben in flagranti erwischt, hat offenbar die Tür der Kammer in einem Stundenhotel eingetreten und ihr und ihrem Lover, dem Prokurator Silbermund, eine fürchterliche Szene gemacht, wobei zwei Degen eine gewisse Rolle gespielt haben dürften. Ein Degen liegt aus Gründen, die sofort verständlich sein werden, auf dem Boden, der andere steckt im Boden, es ist der des Lords, der offenbar getroffen dahinsinkt, während die Lady in flehentlicher Pose erstarrt. Der Nachtwächter hat den Lärm mitbekommen, den Wirt verständigt, und dieser die Polizei gerufen. Während diese nun zur ja bereits geöffneten Tür hereinstürmen, sucht der Lover den kürzesten Fluchtweg auf, das Fenster. Die Tür ist ihm ja versperrt.
Da stehen sie sämtlich in der Türe, teils in Person, teils repräsentiert, und nach der Taktik gestellt, die die natürlichste der Welt ist, nämlich nach dem Interesse der Parteien. Voran der Wirt… Es gilt die Ehre seines Hauses. Hinter ihm der Constabel, der Repräsentant der Polizei, mit seinem Stabe. Eine herrliche Figur, wie man sie aber zu Hunderten in England sieht; echte, derbe Komposition aus Beef und Pudding, braunrotglühend, untersetzt und stämmig bis zur Zweisitzigkeit; einen kleinen Schritt voran mit einem Verdauungsapparat von der behaglichsten Wölbung, dem wahren Sinnbild für National-Schuld und Taxendruck… Der Nachtwächter, noch vorsichtiger als die Polizei, steht an der Spitze des Detaschements, hinten; er wagt sich nicht und will sich nicht wagen, auch kommandiert er nicht einmal, er leuchtet bloß… – Herr Silbermund, seines Sieges zwar gewiß, ergreift dennoch die Flucht… Als Advokat konnte er besser als irgend jemand wissen, daß der Wohlfahrts-Bauch dort in der Türe, zu den leichten Truppen eines unüberwindlichen Corps, nämlich der englischen Kriminal-Justiz gehört, und daß dieses Corps selten fern ist, wenn sich dergleichen Vortruppen zeigen.
Eine englische Uhr…
die an der oberen Peripherie der 6. Tafel von der “Heirat nach der Mode” kaum wahrnehmbar wird in dem ganzen Durcheinander in diesem Bild. Auf der rechten Seite ist Lady Squanderfield tot in einem Sessel ausgebreitet, ihr Vater, der geizige, reiche Kaufmann, hält ihre Hand, um zu verhindern, dass die Dienerin auf der anderen Seite des Sessels der Toten heimlich die Ringe von den Fingern streift. Links davon zwei Gestalten, die ich in meinen Bildausschnitt nehme, den Apotheker und den Hausdiener. Ersterer weist letzteren zurecht, da er offenbar das Gift besorgt hat, das die Lady verlangt hatte. Auf der linken Seite des Bildes der noch gedeckte Mittagstisch, von einem spindeldürren Hund aufgesucht, der sich im Schatten der tragischen Ereignisse in dem Arbeitszimmer des Kaufmanns ein paar fette Rippchen besorgt. Lichtenberg geht bei der Kommentierung dieses Bildes bis ins letzte Detail, wobei satirisch angereicherte Funken sprühen, versehen mit witzigen Anspielungen auf die Weltpolitik.
…eine englische Uhr… Der Zeiger weist auf ein Uhr fünf Minuten. Diese Mittags-Essen-Zeit ist nicht die schlechteste Anstalt in dieser Wirtschaft. Es läßt sich sogar von Geizigen etwas lernen. Eilf Uhr des Morgens ist allerdings spät für den Mann, der schon um 4 beim Renten-Buch wacht. Am westlichen Ende der Stadt speist man zu Mittage, wenn es hier im Osten schon fünf Uhr ist. Dieses gibt also der Stadt London eine sittliche Ausdehnung in Länge von sechs Stunden in Zeit und 90 Graden im Bogen. Sollte sie noch ferner zunehmen, wozu man die beste Hoffnung hat, und der König von Spanien sich je eimal wieder rühmen, daß die Sonne in seinen Staaten nie unterginge, so könnte ihm jeder Cockney getrost antworten: seine Vaterstadt allein sei schon so groß, daß die Sonne, sie stehe auch wo sie wolle, immer irgend eine Familie beim Mittag-Essen antreffe.
Dass Lichtenberg sich sein Leben lang intensiv mit Astronomie beschäftigt hat, sollte man vielleicht wissen, wenn man verstehen will, wie er auf solche skurrilen Vergleiche gekommen ist. Selbst bei der Betrachtung der Hogarthschen Kupferstiche ging ihm offenbar die Astronomie nicht aus dem Kopf…
Fleiß und Faulheit
Auf insgesamt 12 Blättern widmet Hogarth sich diesem Thema, das nach Meinung Lichtenbergs besser mit “Emsigkeit und Müßiggang” übersetzt worden wäre. Der Emsige wird am Schluss die Tochter seines Chefs heiraten, der Müßiggänger am Galgen enden. Ich weiche von meinem bisher angewandten Prinzip ab und widme mich nicht mehr allen Blättern, sondern wähle aus nach eigenem Gutdünken. Da mir bisher kaum jemand gefolgt ist, wird der Schaden sehr begrenzt sein…
Ich übergehe das erste Blatt, das die beiden Protagonisten an ihren Webstühlen zeigt. Der Faule (Faulhans) ist beim Weben eingeschlafen, der andere (Gutkind) schafft was. Auf dem zweiten Blatt sieht man das Innere einer Kirche. Der Fleißige ist zum Gottesdienst erschienen, allerdings in Begleitung der schönen Tochter seines Prinzipals. Sie singen gemeinschaftlich aus einem Gesangbuch. Lichtenberg konzentriert sich dann allerdings auf Dinge, die im Bild nicht sichtbar sind, zumindest nicht explizit, auf ein sakral abgesichertes Petting, sozusagen…
Es ist wohl kaum nötig zu erinnern, daß Gutkinds rechte Hand nicht sowohl auf das Herz gelegt, als bloß in der Gegend untergesteckt ist, um nicht zu hindern. Fäuste werden wohl zuweilen in der Tasche gemacht, aber keine Hand unter der Weste auf das Herz gelegt, aus Andacht. Die andächtigen Fäustchen wollen gesehen sein, und so andächtig ist unser frommer Held nicht.
Auf dem dritten Blatt begegnen wir Faulhans auf dem Gottesacker neben der Kirche, die wir soeben von innen gesehen haben, genauer, er hat sich auf einer Grabplatte ausgebreitet, um ein paar Gesellen beim Spiel zu betrügen. Lichtenberg schüttet seinen ganzen Spott aus über englische Physiognomien, hier geht es um den Typ rechts im Bildausschnitt.
Nun wieder zu unserem Non-Gesicht. Wäre es nicht möglich, daß die Voreltern dieses Kerls in gerader, absteigender Linie, aus odiösen Ursachen genötigt gewesen wären, immer ein Schnupftuch über die Nase gebunden zu tragen, und daß die Natur endlich aus Gefälligkeit gegen die Familie, das Schnupftuch aus ihrer eigenen Fabrik gestellt hätte? Unwahrscheinlich ist diese Hypothese wenigstens nicht, und aussah die Sache völlig so.
Lichtenberg hat auf dem zweiten Blatt von Fleiss und Faulheit ja schon einmal einen deutlichen Hinweis darauf entdeckt, dass kaufmännische Regsamkeit und sexuelle Betriebsamkeit durchaus Hand in Hand gehen können. Auf dem vierten Blatt ist der Fleißige mit seinem Schwiegervater in spe zu sehen, schon mit allen Insignien der merkantilen Gewalt ausgestattet: dem Auftragsbuch, dem Geldbeutel und den Schlüsseln zu all dem, was in den Hinterzimmern solcher Kontore meist gut verschlossen bleibt. Auch auf dem vierten Blatt gehen die oben angesprochenen Dinge offenbar Hand in Hand, was man schon an den beiden Handschuhen erkennen kann, über die sich Lichterberg zwar auslässt, aber nicht in Hinsicht auf den Aspekt, den ich ihnen beilege. Ich habe mir also erlaubt, Lichtenbergs Beobachtungen ein wenig zu ergänzen. Aber ds nur am Rande.
Lichtenberg liebt anscheinend das Anzügliche. Und so nutzt er nun ein Wortspiel, um erstens einen derben Witz zu machen, und 2. den Lehrling und dessen hübsche Verlobte in die Pfanne zu hauen. Aber hören wir ihn selber:
In dem Blick des jungen Lehrlings ist sehr viel Treuherzigkeit und hoffnungsreiche Gesetztheit, obgleich in Figur und Anstand weniger Eleganz, als bei dem Prinzipal. Sie wird aber durch bedeutungsvolle Stämmigkeit ersetzt, die sich besonders in den untern Extremitäten zeigt. Es gibt aber sicherlich, wo nicht gar eine elegante, doch gewiss eine edle Stämmigkeit. – Nicht wahr Madam?
Auf der fünften Platte von “Fleiß und Faulheit” sehen wir den Faulhans auf einem Boot, das ihn zu einem Schiff bringen soll zu einer Reise ohne Wiederkehr. Seine Mutter begleitet ihn. Doch die arme Frau hat nichts zu bestellen, da der Sohn in einer unmäßigen Toberei begriffen ist.
Faulhans nämlich, der sich nun bereits in der Nähe des Schiffs und beim Eintritt in die Wiedergeburt erblickt, von welcher man seine Besserung erwartet, fängt, nach Art aller Taugenichtse in der Klemme, an zu toben, auf Freiheit zu trotzen und zu drohen: hier wolle er es nun noch viel ärger machen, sagt er wohl, bloß um die schwache Mutter zu schrecken und zu kränken, einiges, was er tun wolle.
Mitten in der Verfertigung der Reinschrift der sechsten Platte ist Lichtenberg gestorben. Es wurden vom Herausgeber jedoch aus Lichtenbergs Unterlagen Kommentare zu den restlichen sechs Platten zusammengestellt, die aber bei weitem nicht die treffende Genauigkeit des analysierenden Zugriffs auf Hogarth erreichen. Ich möchte jedoch das Ende der Geschichte kurz zusammenfassen.
Der fleißige Lehrling heiratet also die Tochter des Chefs. Der faule indes ist von seiner Seereise zurückgekehrt: Was gehenkt sein soll ersäuft nicht. Er sitzt auf der siebten Platte mit einer Dirne im Bett und zählt die Beutestücke eines Raubzuges. Die nächste zeigt den Schmaus anlässlich der Ernennung Goodchilds zum Sheriff von London. Auf der neunten Platte werden wieder Schmuckstücke gezählt, aber zugleich ist zu sehen, wie die Person, der diese guten Stücke einmal gehört haben, als Leiche in einem Kellerschacht versenkt wird. Nun nimmt das Ende an Fahrt zu. Auf der zehnten Platte treffen sich die Wege von Idle und Goodchild wieder. Goodchild ist der neue Aldermann, also so etwas wie ein Untersuchungsrichter, der Faule wird ihm in Ketten zugeführt. Die beiden letzten Platten enthalten personenreiche Straßenszenen, nämlich zum einen die Hinrichtung des einen und der festliche Umzug des anderen, der soeben zum Bürgermeister gekürt worden ist. Lassen wir Lichtenberg noch einmal zu Wort kommen, der die an dem festlichen Umzug beteiligten Soldaten gar nicht gut aussehen lässt…
Wenn man von diesem ganzen Blatt nur einen Charakter angeben soll, ist es: Spott über die Stadtsoldaten der guten Stadt London, und man kann nicht leugnen, daß ihm dieses in einem hohen Grade gelungen ist. Freilich hat hier die Natur sehr stark vorgearbeitet. Wenn der Soldatenstand in der Welt derjenige ist, der vorzüglich vor andern auf Schönheit des Leibes, Mut, Reinlichkeit im Anzug, und Gewandtheit in allen Bewegungen mit Recht Anspruch macht, so kann man sich freilich des Lächelns nicht enthalten, wenn man diese Hospital-Präparate aufmarschieren sieht. Es sind Invaliden, nicht in der militärischen Bedeutung des Worts, sondern im strengeren Hospitalsinn genommen.