Monatsarchiv: Dezember 2022

Sylvester mit Spinoza

„Nohn (sic!), es ist eine alte Geschichte.“ So pflegte in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts einer meiner Geschichtslehrer am Stiftisch-Humanistischen Gymnasium in Mönchengladbach seine Auslegungen einer bisher nicht behandelten Episode oder Epoche einzuleiten. Ich will hier den Raum der oder besser einer Geschichte betreten, die 1990 in Prag begann, als ich Spinozas „Ethik“ in einem Antiquariat entdeckte, auf Deutsch, und es für 450 Kronen erwarb, da mich daran vor allem das Erscheinungsjahr 1886 und auch der Erscheinungsort Heidelberg (wo ich studiert habe; man wird sich ja noch ein paar kleine Sentimentalitäten leisten dürfen!) reizten. 32 Jahre hat das Büchlein in einer Ecke irgendeines Regals geschlummert, bis es mir aus Gründen, die ich nicht rekonstruieren kann, in die Hände fiel und sofort gefiel.

Ich begann also den sperrigen Text zu lesen, der aus kurzen Abschnitten oder einzelnen Sätzen besteht, die alle gekennzeichnet sind mit Buchstaben wie „D“ (Definition), „E“ (Erläuterung), „A“ (Axiom) oder „L“ (Lehrsatz), usw. Spinozas Ethik ist nach mathematischen (oder formallogischen) Gesichtspunkten konstruiert und ist letztendlich der Versuch, eine pantheistische Auslegung des Seins als erwiesene, da bewiesene Sache darzustellen. 

Was mich jedoch hier interessiert, ist die Einsicht, dass mir Spinoza einerseits als Vorläufer der phänomenologischen Philosophie (Husserl, Heidegger) erschien mit klaren psychologischen Erkenntnissen bezüglich des Verstehens von Dingen mittels Vorstellungen, was ich aber hier nicht weiter verfolgen möchte, dass er andererseits aber in seinen Beschreibungen der Psyche (er nennt das „Seele“) Dinge sagte, deren Bedeutung die moderne Werbung ihrem ureigensten Terrain, nämlich der Manipulation, zurechnet, mit anderen Worten: Spinoza beschreibt messerscharf, wie Werbung funktioniert.

Schnitt.

Ich skizziere nun, was heute (30. Dezember 2022) im Werbefernsehen so zu sehen war:

SAMSUNG

„If I can dream of a better world!“

Dazu lächeln Kinder, winken, ein niedliches Mädchen sagt „Hi!“.

CEWE Fotobücher

Es wird ein Fotoalbum gezeigt. Dazu der Kommentar: „Ein Familien-Schatz! Genau so hat sich das ganze Jahr angefühlt!“

STEPSTONE

„Freiheit ist, den richtigen Job zu finden.“ „Jobs sind unser Job.“

MUMM Sekt

„Das Leben ist zum Genießen da. Manchmal muss es Mumm sein.“

CONGSTAR

„Liebesbeweis für dich… Wir schenken dir…“

BETT1.de

„Freunde!“ Wer sagt denn, dass die so gut sind? „Freunde!“

ROTKÄPPCHEN Sekt

„Romantik“ – „Größte Liebe!“

BMW i7

„Ikone einer neuen Bewegung“

Hier noch mal als Übersicht:

Samsung – better world

Cewe – Familie

Stepstone – Freiheit

Mumm – Leben

Congstar – Liebesbeweis

bett1 – Freunde

Rotkäppchen – Große Liebe

BMW – Ikone

Spinoza stellt im II. Teil seiner Ethik: „Über die Seele“ folgenden Lehrsatz (Nr. 18) auf:

„Wenn der menschliche Körper einmal von zwei oder mehreren Körpern zugleich erregt worden ist, so entsinnt sich die Seele, wenn sie später einen von ihnen sich vorstellt, sofort auch der anderen.“

Voilà. In nuce ist das doch das Grundprinzip der Werbungsindustie. Spinoza lebt.

Morgen werde ich noch eine Flasche Sekt für den Sylvesterabend kaufen. Ich stehe also vor dem Regal bei Aldi oder Lidl (lohnt sich!), mein Blick schweift über das Sektangebot und dann muss ich mich am Ende doch entscheiden:

LEBEN oder LIEBE?

Am Ende werde ich mich wohl doch für das Rotkäppchen entscheiden, um es vor dem bösen Wolf zu schützen. Und was wird dann geschehen? Darüber breite sich der Mantel der Geschichte…

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Warum man vor Weihnachten noch unbedingt einen Hörtest machen sollte

Ich kam neulich an diesem Bild vorbei und habe mich natürlich gefragt: Warum ausgerechnet vor Weihnachten? Ich habe verschiedene Möglichkeiten abgewogen, z.B. wäre es vielleicht gut, wenn man am Heiligabend den Weihnachtsmann, der da draußen vorbei geht, nicht überhört. Natürlich ist der “Weihnachtsmann” für jeden etwas anderes. Für den unsterblichen Roy Black etwa ist es sein “Liebchen”. Also singt er lustig: Horch, was kommt von draußen rein.

Für andere ist Hören eher etwas Politisches. Da geht es dann eher um Signale, um ganze Völker, um letze Gefechte. Aber kennen wir das nicht auch vom Tag vor HeiligAbend, wenn sich so mancher noch in dieser und jener Einkaufszone ins letzte Gefecht stürzt? Also, Völker, hört die Signale!

Es könnte aber bei diesem vorweihnachtlichen Hörtest schlicht darum gehen, dass der Opa endlich einmal die ganze Weihnachtsgeschichte zu hören bekommt, selbst wenn die Enkel schon quengeln und geräuschvoll die Geschenke auspacken. Höret die Weihnachtsgeschichte!

Vielleicht bezieht sich dieser Rat, noch vor Weihnachten sein Gehör testen zu lassen, auf die Erfahrung, dass nicht alle Glocken an Weihnachten laut sein müssen. Es gibt auch die leisen Töne, die Glöckchen also, die vorzüglich von Helene Fische zur Geltung gebracht werden: Kling Glöckchen, klingelingeling.

Also, immer offen sein für alles. Und hört mal, wer da klopft

Und ja, dies ist natürlich eine offene Liste von Hörspielen. Wenn Euch noch weitere einfallen, her damit! Ich spendiere Euch die Links dazu… Daraus wird dann vielleicht ein weihnachtlich-harmloses Schneeballsystem…

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“Philosophieren heißt sterben lernen”

Dies ist einer der klugen Sätze, die von Michel de Montaigne (1533 – 1592) stammen, dem Erfinder des Essays, wie manche meinen. Der Journalist Nils Minkmar hat diesem Vorläufer der Aufklärung (… betont die Vernunft, aber auch deren Grenzen…) nun einen Roman gewidmet.

Nils Minkmar: Montaignes Katze. S. Fischer, Frankfurt 2022

Nils Minkmar macht keinen Hehl aus seiner Verehrung für Michel de Montaignes Essais, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geschrieben wurden und eine Fülle von ethischen und sonstigen Betrachtungen enthalten, ohne roten Faden, wie es gelegentlich heißt, in denen es also wie Kraut und Rüben durcheinander geht, deren Geschlossenheit nach dem Urteil mancher Gelehrter aber aus der gedanklichen Klarheit des Autors resultieren soll. Ich frage mich allerdings, wie das gehen soll.

Klick mich!

Nils Minkmar macht allerdings einen großen Hehl daraus, warum er diesen Roman, der ausschließlich im Jahre 1584 spielt, nach Montaignes Katze benennt, die nur sehr am Rande in der Erzählung Erwähnung findet. Ich habe dabei natürlich sofort an Schrödingers Katze gedacht, und zwischen den beiden Begriffen spinnt sich tatsächlich ein roter Faden, denn Schrödingers Beitrag zur Quantenphysik sind ebenso clever wie Montaignes kluge Aphorismen. Nils Minkmar verrät allerdings in einem Interview des „Domradios“, er habe diesen Katzentitel nicht zuletzt deshalb gewählt, weil Katzen für ihn und auch für Montaigne für privates Glück stehen, für ein gemütliches Zuhause und allgemein für irdisches Glück. Wenn ich meine beiden Kater Aladin und Adonis betrachte, wie sie da friedlich beisammen und ineinander gerollt in der Sofaecke liegen, dann kann ich nicht anders als diese Wertschätzung vorbehaltlos zu zu teilen…

Bitte weiterlesen unter Reflexe und Reflexionen.

Hier ist übrigens eine Art rekursive Bildgeschichte mit meinen Katern zu besichtigen…

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