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Kunst und Leben

Grundlage dieser Glosse ist ein Interview, das Jakob Biazza mit Johann Scheerer und Omar Rodríguez-Lopéz im März 2021 geführt hat (SZ vom 31.03.2021). Beiden Musikern ist Leid geschehen. R.-L. lebte mit 17 eine Zeit lang aus Furcht vor (weiteren) Misshandlungen auf der Straße, Sch. hat die Entführung seines Vaters (Jan Philipp Reemtsma) miterlebt.

Sch. positioniert sich zu Beginn des Interviews eindeutig-zweideutig. Er sagt auf die Frage nach dem Einfluss von Leid auf die Kunst, Schmerz als Kraft für Kunst zu verstehen, sei absoluter Blödsinn. Fügt aber hinzu: Vielleicht werde ich auch im Laufe des Gesprächs meine Meinung ändern…

R.-L. dagegen hält Schmerz für die ureigene Wahrheit von Kunst und Kreativität und stellt die Gleichung auf Schmerz = Zerstörung. Und Zerstörung erst ermögliche Gesellschaften. Er sagt: „Wo der Mensch auftaucht, verschwinden Flora und Fauna, verschwinden die Tiere, die Bäume.“

Man kann das erst mal so stehenlassen, als puren Blödsinn.

R.-L. wird aber noch etwas konkreter. Er sagt: Der Mensch hat sich an die Spitze der Nahrungskette gesetzt. Aber dann begannen die Verteilungskämpfe, und so schufen wir Gesetze, deren Ursprung aber die Zerstörung sei. Das ist absolut nicht mehr nachzuvollziehen und man möchte das Interview schon beiseite legen, wenn dann nicht dieser Satz käme: „Aber der Ursprung von allem liegt in der Zerstörung. Beim Komponieren eines Songs ist es dasselbe.“

Vielleicht hat der Kerl ja an einem Hegel-Seminar teilgenommen und war von dieser Figur der Negation von etwas und deren Negation irgendwie begeistert. Aber seien wir doch gespannt darauf, wie er dieses Konzept auf die Musik anwendet.

Wenn R.-L. einen Song komponiert, hat er zunächst hunderte Versionen im Kopf. Dann zerstört er eine nach der anderen, die ihn übrigens alle glücklich machen, bis eine übrig bleibt, die dann gemastert und gepresst wird. Aber weil er beim Anhören dieser letzten Version wieder an alle anderen, die ihn so glücklich gemacht haben, denken würde, weigert er sich, seine eigenen Platten anzuhören. - Zum Glück verhalten sich normale Sterbliche anders. Denn wenn z.B. die Väter, die ihre Söhne betrachten, dabei an die Millionen Spermata denken würden, die zerstört worden sind, würden sie sich mit Grauen abwenden und nie mehr einen Blick auf ihre Nachkommenschaft werfen, da sie immerfort an all die verpassten Chancen für einen Supernachwuchs denken würden…

Dann kommt der Interviewer auf Mut zu sprechen. Denn beide Interviewten haben Dinge dann aufgehört und was Neues angefangen, als es eigentlich ganz gut lief. Man einigt sich auf den Begriff „Zuversicht“ und die beiden werden gefragt: „Wo kommt die her?“

Scheerer: „Von der Unvermeidbarkeit des Todes – so ironisch das klingen mag. Unterm Strich gilt: Wir werden alle sterben. Nichts wird daran etwas änderen. Nichts hat wirklich Sinn. Wenn aber nichts wirklich Sinn macht, kann man genauso gut alles tun.“

Erinnert verdammt an das berühmte Nietzsche-Wort: „Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.“ Aber nur auf den ersten Blick. Denn hinter einer solchend populärnihilistischen Aussage („Wir müssen sterben. Also hat das Leben keinen Sinn.“) verbirgt sich eigentlich eine verkappte und selbstmitleidige Sehnsucht nach Transzendenz.

Nichts ist wahr.

Alles ist erlaubt.

Leo hört Stimmen unterm Hut

Auch R.-L. möchte was zum Thema Zuversicht sagen. Er nämlich bezieht seine Zuversicht in Bezug auf das künstlerische Schaffen aus der Gewissheit, dass das, was er produziert, nichts mit ihm zu tun hat, sondern von Stimmen in seinem Kopf kommt, die ihm was von außen zuflüstern, was er tun soll. „Ich bin sehr gut darin, Befehle zu befolgen.“ So kann man Intuition und Kreativität auch beschreiben, wenn man es nicht besser kann… Und Scheerer assistiert mit einem Hinweis auf Michelangelo, der gesagt habe auf die Frage, wie man einen Löwen aus einem Stein erschafft: „Alles wegschlagen, was nicht nach Löwe aussieht.“ Dabei bemerkt er nicht, dass bildnerisches Schaffen etwas grundsätzlich anderes ist als Schreiben oder Komponieren, was schon daran zu ersehen ist, dass man eine Skulptur als Ganze erfassen kann, einen Text oder eine Komposition aber nur sukzessive in der Zeit.

Ich übergehe andere Dummheiten wie: „Schreibblockaden sind eine Ausrede fauler Künstler.“ Und gehe weiter zur Frage nach dem Verhältnis von Schmerz und Kunst. Für Sch. kann der Schmerz, den ein Künstler erlitten hat, nichts mit dem Kunstwerk, das er schafft, zu tun haben, da das einzige, was ihn antreibt, er, der Künstler, selber ist. In welchem Verhältnis diese Aussage aber zu der obigen steht, dass alles von außen kommt, bleibt leider völlig unklar. R.-L. betrachtet den Schmerz als eine „fühlende, lebende, atmende Energie im Universum“. Darum spielen Personen, die ihm einmal Schmerz zugefügt haben, für ihn keine Rolle. Man würde dieser Meinung oder Aussage, glaube ich, am besten psychologisch näher kommen können mit Hilfe des Konzepts der Verdrängung. Wer ihm wehgetan hat, wird verdrängt. Aber nun verbleibt immer noch ein nicht gefasster Schmerz, und der wird als Energie aus dem Universum hypostasiert.

Nachdem R.-L. über Schmerz als Energie gefaselt hat, fragt Sch.: „Schmerz ist in allem?“ Und R.-L. serviert die nächsten Banaltäten: „Alles braucht sein Gegenteil, um zu existieren. Kein Tag ohne Nacht, kein Schatten ohne Licht. Leben und Glück brauchen Zerstörung.“ Und er wird konkreter: „Ein Spermium muss ein Ei penetrieren, damit etwas entsteht. Es übt Gewalt aus. Ein Kind muss seine Mutter aufreißen, um geboren zu werden. Zerstörung ist Teil des Lebens.“ Mit diesem Verständnis von Gewalt ist es natürlich leicht, alles unter den Begriff der Zerstörung zu subsumieren. Hier wird eindeutig Metaphorik mit Sachlichkeit verwechselt. Mit einer Wurstigkeit, die sich als Welterkenntnis aufspielt.

R.-L. kommt beim Thema Schmerz doch noch ausführlich auf seine Mutter zu sprechen, obwohl ja angeblich bei diesem Empfinden Personen ganz ausgeblendet sind bei ihm. Seiner Mutter ging es kurz vor ihrem Sterben sehr schlecht. Trotzdem hat sie ihn noch gefragt: „Junge, hast Du auch was gegessen?“ Und weil sie ihn das noch gefragt hat, ist er Künsler geworden. – Man fragt sich allmählich, ob der Interviewer es darauf abgesehen hatte, die beiden jungen Leute zu desavouieren.

Sch. wendet nun ein: „Ist es nicht trotzdem ein grauenhaftes Klischee, wenn jemand behauptet, nur schreiben zu können, wenn er leidet?“ Das verleitet R.-L. dazu, aufzulisten, was zum Schreiben inspirieren sollte: ein Sonnenaufgang, die „Black lives matter„-Bewegung, neue Technologien oder auch der Umstand, dass man des Morgens beim Aufwachen noch beide Ohren hat. Ich glaube, Letzteres war der Versuch, einen kleinen Witz in die ansonsten so scherzfreie Unterhaltung einzustreuen…

Zum Schluss geht es um die Frage, ob Schmerz zu Hass führen kann. Sch.´s Antwort ist wohl biografisch bedingt, wenn er sagt, Finger weg vom Hass. Der kettet dich an den, der dir Schmerz zugefügt hat. – Hier denkt er wohl an den Entührer seines Vaters. Und R.-L. sagt dazu: „Wenn ich Menschen hassen würde, die mir Leid zugefügt haben, wäre das, als würde ich den Sonnenschein hassen oder die Luft.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht den Hinweis darauf, dass es wahrscheinlich besser ist, (gewisse) Musiker nicht zu ihrer Kunst zu befragen, da sie einfach nicht in der Lage sind, etwas Schlaues dazu zu sagen. Und ich möchte dem noch eine Vermutung hinzufügen. Es gibt großartige Interviews von großen Künstlern über ihre Musik. Darf man, wenn ein Interview derart Missliches zu Tage fördert, etwa Rückschlüsse auf die Musik ziehen?

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