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Bajuwarischer Antipode

Wer ist der bajuwarische Antipode? Laut Selbstauskunft ist das immer noch Friedrich Nietzsche, der sich in Ecce Homo neben kulinarischen Betrachtungen auch den Gillamoosschen Auswüchsen widmet. Hier die trophologische Beurteilung der Deutschen, aber auch der Engländer. Und bei letzteren kommen einem die kulinarischen Leiden in den Sinn, die der Kommissar in Frenzy auszustehen hat, weil dessen sehr englische Frau einen Kochkurs in französicher Küche absolviert. Hitchcock hätte Nietzsches Ausführungen zu dem Thema gewiss gefallen, wenn er sie gekannt hätte. Oder hat er sie gekannt?

“Aber die deutsche Küche überhaupt – was hat sie nicht alles auf dem Gewissen! Die Supppe vor der Mahlzeit (noch in Venetianischen Kochbüchern des 16. Jahrunderts alla tedesca genannt); die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse; die Entartung der Mehlspeisen zum Briefbeschwerer! Rechnet man gar noch die geradezu viehischen Nachguss-Bedürfnisse der alten, durchaus nicht bloß alten Deutschen dazu, so versteht man auch die Herkunft des deutschen Geistes – aus betrübten Eingeweiden… Der deutsche Geist ist eine Indigestion, er wird mit nichts fertig. (Auch die Zeitenwende ist die reinste Indigestion; sie wird mit nichts fertig.) – Aber auch die englische Diät, die, im Vergleich mit der deutschen, selbst der französichen, eine Art “Rückkehr zur Natur”, nämlich zum Kannibalismus ist, geht meinem eignen Instinkt tief zuwider; es scheint mir, dass sie dem Geist schwere Füße gibt – Engländerinnen-Füße… Die beste Küche ist die Piemonts.

(Nietzsche hat bekanntlich seine letzten bewussten Tage in Turin erlebt und gerne die bekannte Pasta Piemonts verspeist.) – Alkoholika sind mir nachteilig; ein Glas Wein oder Bier des Tags reicht vollkommen aus, mir aus dem Leben ein “Jammertal” zu machen, – in München leben meine Antipoden.”

Niemand hat bisher Rousseaus “Rückkehr zur Natur” boshafter verarscht. Und wozu Hitchcock ein paar Szenen braucht, um seinen Punkt zu machen – Nietzsche schafft das mit einem einzigen Wort: Engländerinnen-Füße… Man hat zwar keine Ahnung, was das bedeuten soll, und trotzdem eine sehr plastische Vorstellung von den Füßen von Frauen, die als Gesamtkunstwerk auch heute noch gelegentlich sehr skurril in Erscheinung treten.

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Mitteilung aus der Kronen-Gruft 4

Über die neue Bedeutung des Internet

Kann es sein, dass eine Gemeinschaft durch Vereinzelung enger zusammenwächst? Ich habe mir angesichts der herrschenden Lage darüber Gedanken gemacht. Und nahm mir heute in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel vor, weil ich im Vorspann las, man müsse den „Gesellschaftsvertrag“ nach Lage der Dinge neu denken.

Der Begriff „Gesellschaftsvertrag“ ist vor allem durch Jean-Jacques Rouseau in die philosophische und politische Diskussion gelangt und enthält die zentrale Forderung, das Handeln des Staates solle sich am „Gemeinwillen“ orientieren. Was aber ist der Gemeinwille in Zeiten von Corona?

Eva Illouz‘s Artikel enthält eine ganze Reihe interessanter Betrachtungen. Ich zitiere hier lediglich einen besonders anschaulichen Abschnitt:

Ich habe mich nun seit Wochen zu Hause verbarrikadiert, und die Liebe, mit der meine Kinder mich überschütten, besteht darin, dass sie mich alleine lassen. Diese Solidarität zerlegt den Gesellschaftskörper in kleinstmögliche Einheiten, was es schwierig macht, sich zu organisieren, zu kommunizieren, über die endlosen Witze und Videos hinaus, die in sozialen Netzwerken geteilt werden. Die Geselligkeit ist jetzt stellvertretenden Charakters und diese Krankheit, bei der wir alle Kategorien der Intimität und Zuwendung revidieren mussten, war ein Festtag der virtuellen Technologie. Ich habe keinen Zweifel, dass die fernen Verbindungen in der Welt nach Corona ein Eigenleben annehmen werden, jetzt, wo wir gezwungenermaßen ihr Potenzial entdeckt haben.

 

Aber bemerkt Ihr auch den Widerspruch in ihrer Argumentation, oder soll ich sagen: den scheinbaren Widerspruch?

Übrigens war das Bild natürlich nicht in dem Artikel von Eva Illouz enthalten, sondern wurde mir – wo sonst – in einer WhatsApp-Gruppe übermittelt, in der jeder so sein Süppchen kocht…

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