Schlagwort-Archive: Satire

Mitteilungen aus der Kronen-Gruft 26: Sauna? Was war das noch?

Ein Dokument aus längst vergessenen Zeiten. Aus einem Fitness-Center übrigens. Obwohl die Rechtschreibung eher vermuten lässt, dass hier ein Schüler oder eine Schülerin aus dem homegeschoolten Corona-Jahrgang 2020/2021 am Werke war. Wohin führt uns das noch? Die Wirtschaft hält sich ja ganz gut. Aber was ist mit der Orthographie? Brot war immer schon wichtiger als das “scharfe S”. 

Damit haben wir aber ganz unbeabsichtigt ein heißes Thema angeschnitten.

Die Filmemacher, die Intendanten, die Schauspieler rufen:

Rettet die Kultur! Denn die macht  den Menschen erst zum Menschen!

Was aber ist mit den vielen Millionen, wahrscheinlich Milliarden Menschen, die ums Überleben kämpfen? Die keine Zeit für Kino oder Kunst haben. Sind das keine vollwertigen Menschen?

Ja, dann geht jetzt zu den Menschen, geht dahin, wo Ihr gebraucht werdet. Geht in die Krankenhäuser und die Altenheime, wo Personal fehlt. Und redet nicht von Kultur, wenn’s ums Überleben geht.

Kultur könnte ohne Subventionen nicht gedeihen. Das heißt, die Gesellschaft tut was für Euch. Nun tut mal was für die Gesellschaft – außer Beinchen schwingen oder ein Gesicht in die Kamera halten.

Denn wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Mitten in einer Jahrhundertkatastrophe, gell?

Von der viele aber kaum was merken würden, wenn man es sub specie aeternitatis betrachtete. Das Leben ist beschwerlicher als früher, sicher. Aber es fallen keine Bomben, und niemand muss in den Luftschutzkeller. Wir leben in schweren Zeiten, aber wenn wir einen größeren Maßstab anlegen, können wir immer noch sagen:

Es ist eine privilegierte Katastrophe.

Was mich betrifft. Was uns betrifft. Hier in Deutschland.

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Kronen-Gruft, Zeitliches

“You’re fired”

Zwölftes KAPITEL

Eine wundersam verwickelte Hofgeschichte

„Geheimer Hühneraugenessenzbereiter?” fragte Semilasso mit einem feinen Lächeln.

“Geheimer Hühneraugenessenzbereiter”, sagte der Schriftsteller. ,,Wenn Sie die Verhältnisse des Hofes, in dessen geheimen Diensten ich zu stehen die Ehre habe, kennen, so werden Sie wissen, daß der alte Herzog in dem Spleen seiner vorgerückten Jahre nur noch ein Interesse an seinen Hühneraugen nimmt, die ihn in der Tat auch arg plagen. Ohne diese Pein aber würde dennoch die ganze Existenz des alten Herrn zusammenbrechen, denn der Verdruß gehört ihm zum Leben notwendig hinzu; er ist einer von den Charakteren, die aus Liebhaberei verdrießlich sind. Diese maussade Laune erleichtert übrigens die Staatsverwaltung außerordentlich. Die Regierungsgeschäfte werden in Dünkelblasenheim auf eine höchst einfache Art getrieben; nämlich wenn den alten Herrn die Hühneraugen zu heftig schmerzen,, so schlägt er etwas ab, und wenn es leidlich damit steht, so genehmigt er, auf solche Weise motivieren sich die unerwartetsten Entschließungen ganz natürlich. Das Schneiden der Hühneraugen war daher auch von jeher eines der wichtigsten Geschäfte am Hofe; der Obersanitätsrat war damit begnadigt, nun ist der Mann auch alt geworden, hat blöde Augen bekommen und in den letzten Jahren den Herzog mehrmals in das Fleisch geschnitten, woraus denn strenge Regierungsmaßnahmen entsprangen. Der alte Herr verlangte daher schon seit einiger Zeit nach Abhülfe dieses Übelstandes.

Karl Immermann, Münchhausen. Düsseldorf 1838/1839
http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/immermann_muenchhausen03_1839?p=201

Siehe auch meine Kurzbesprechung

Diese minimalistische Zeitkritik ist der Minimalistin Blühbirne gewidmet…

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Zeitliches

Schwulen- und Religionsbashing bei Heinrich Heine?

Heinrich Heine: Reisebilder (1826 – 1830)

Heinrich Heine hat in seinen Reisebildern die politischen und religiösen Missstände seiner Zeit in einer äußerst witzigen Weise kommentiert und sich dabei auch auf einen Streit mit dem sich selber mit Lorbeer bekränzenden Dichter August von Platen, den er als Schwulen geoutet hat,  eingelassen, was ihm von einigen Zeitgenossen übel genommen wurde, was er aber auch selber zwischenzeitlich wohl nicht so witzig fand, da er vor neuen Auflagen daran gedacht hatte, die beiden einschlägigen Kapitel zu streichen. Das ist indes nicht geschehen.

Hieran anschließend kann man vortrefflich ein paar Gedanken anstellen, was unter “sexueller Diskriminierung” zu verstehen ist vor 200 Jahren, oder heute. Wer ein harmloses Gedicht von Eugen Gomringer an einer Hauswand, in dem der Dichter auf die Beobachtung von Frauen auf einem Boulevard hinweist, als sexistisch ansieht, –  was muss der denken über Heines Invektiven gegen den schwulen Dichter August von Platen? Sollte man Heines Bücher deswegen heute “von der Hauswand entfernen”, also verbrennen?

Die Reisebilder entstanden in einer Zeit, als Heine noch versuchte, in Deutschland eine (An-)Stellung zu erhalten, die es ihm ermöglicht hätte, finanziell unabhängig zu sein, in denen er indes kompromisslos die literarischen und politischen Umstände in Deutschland darstellte, und zwar in einer ebenso ätzenden wie unterhaltsam-geistvollen Art und Weise. Diese Texte könnte man in Bezug auf ihren Stil und Ausdruckskraft durchaus mit einer gewaltigen Welle vergleichen, die die Selbstgewissheiten und Heiligtümer der Zeit hinweg spülte. Diese Eigentümlichkeit bringt es nun mit sich, dass man nur sehr schwer einzelne Beispiele aus diesem Wellenreigen herausreißen kann, ohne den gewaltigen Gesamteindruck zu mindern oder gar zu zerstören. Ein Wort ergibt bei Heine das andere, und ohne den Kontext mag das Eine oder Andere daher in seiner Isolation etwas merkwürdig oder gewollt erscheinen.

In meinen Reflexen und Reflexionen sollen in den nächsten Wochen zu den oben genannten Aspekten ein paar Anmerkungen gemacht werden, in lockerer Reihenfolge.

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Zeitliches

T. C. Boyle: The Terranauts

Das Buch, erschienen 2017, wurde offenbar in der amerikanischen Presse hoch gelobt. Die Mail on Sunday z.B. schrieb: “Based on the real nineties debacle of Biosphäre 2, Boyle’s Comic Satire is a dry reminder of utopianism’s pitfalls.” Oder The Times Literary Supplement schrieb: “A satirical novel for our era of wrap-around surveillance and publicity… An excruciatingly funny, pitch-perfect rendition of chronic disgruntlement.”

Unter Reflexe und Reflexionen könnt Ihr meine kurze Besprechung einsehen. Mit einem kleinen Seitenhieb auf Youying, die das wirklich nicht verdient hat…

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Reflexe und Reflexionen, Zeitliches

Bled mit e

Für wie “bled” hält man uns eigentlich in Berlin?nicht-bled

Da wertet Merkel Böhmermanns Beitrag in einem frühen Telefonat mit der türkischen Regierung als “bewusst verletzend” und lässt ihren Sprecher später verkünden, so sei das nicht gemeint gewesen.

Warum sagt dann Altmeier nach der “Ermächtigung” erneut, der Beitrag von Böhmermann sei “bewusst verletzend”?

Immer wieder wird zwar betont, das “Schmähgedicht” müsse im Kontext der satirischen Sendung bewertet werden. Doch selbst die, die das sagen, halten sich oft nicht daran, wenn sie z.B.  hinzufügen: “Ich persönlich halte das Gedicht allerdings für primitiv!”

Mit Blick auf Merkel und Altmeier  könnte man hier allerdings erwidern: Das “Schmähgedicht” war bewusst primitiv. Denn eine Schmähung bedient sich meist einer im Vergleich zur Standardsprache “niederen” oder obszönen Wortwahl. 

In diesem Fall aber: Das  Gedicht “Schmähgedicht” war überhaupt keine Schmähung!

Ich will das abschließend und ein für alle Mal an einem Beispiel veranschaulichen. Wer in seiner Schulzeit oder sogar beruflich einmal mit der Sprechakttheorie (Austin, Searle) zu tun hatte, versteht sehr gut, wenn ich vorwegschicke: Entscheidend für das Verständnis dessen, was  eine sprachliche Handlung (Versprechen, Schmähen, Heiraten, um nur ein paar Beispiele zu nennen) “im Kern” ausmacht,  ist immer die Bestimmung ihrer sog. illokutionären Kraft (einfach gesagt: Was tut der Sprecher, indem er etwas sagt?). Ich hatte früher schon darauf hingewiesen, dass es bei der Bestimmung der illokutionären Kraft einer Äußerung von entscheidender Bedeutung sein kann, ob Anführungszeichen verwendet werden, also zitiert wird.

Aber in meinem angekündigten Beispiel geht es nur sekundär um Anführungszeichen. Also stellen wir uns einmal vor, wir schalten die Nachrichten an und geraten in folgende Szene:

Am Strand von Bali knien Prinz Harry und Lady Gaga im Sand. Sie halten sich, blumengeschmückt, bei den Händen, und sie sagt: “Ja, ich will.” Dann sagt er: “Ja, ich will.” Darauf hin sagt Jan Böhmermann, ebenfalls sehr blumenreich: “Ich bin zwar kein Priester. Aber ich erkläre Euch hiermit zu Mann und Frau.”

Niemand käme hier auf die Idee, dass die beiden nun rechtmäßig oder zumindest kirchlich verheiratet sind. In seiner Sendung tritt Böhmermann nicht als Priester, sondern als Satiriker auf. Und genau so wenig, wie Prinz Harry und Lady Gaga durch die Worte “Ich erkläre Euch hiermit zu Mann und Frau!” zu einem Ehepaar werden, genau so wenig ist ein Gedicht, das zur Veranschaulichung dessen dient, was in einem Rechtsstaat gesagt werden darf und was nicht, ein Schmähgedicht (selbst wenn es eine Reihe formaler Merkmale enthält, die typischerweise in Schmähgedichten vorkommen können).

(Natürlich ist es das Privileg der Satire, dass der Satiriker dabei mit einem Auge zwinkern kann, da er eine klammheimliche Freude nicht wird verbergen können oder wollen, dass es da draußen  einen Despoten gibt, den er formal nicht geschmäht hat (gegen den er also mit allen Waffen des Rechtsstaates gewappnet ist), der sich aber sehr, sehr ärgert.)

Soeben wird bekannt, dass Böhmermann eine “kleine Fernsehpause” machen möchte, um sich auf einer Reise durch Nordkorea die Sache mit der Pressefreiheit noch mal erklären zu lassen.

Wahrscheinlich wird der Hype um diese Sache jetzt allmählich verebben. Aber wie konnte es zu diesem Riesenrummel kommen? Offenbar hatte Böhmermann einen Nerv getroffen. Und der scheint im Auge(nzwinkern) des Betrachters zu liegen. Das heißt: Wir haben uns als Nation erhoben und alle mal kräftig Richtung Bosporus gezwinkert…

Leider ist es dabei zu einer weiteren Isolierung unserer sonst sehr tüchtigen Kanzlerin gekommen.

Wird also die Böhmermann-Affäre später einmal mit einer Götterdämmerung verknüpft werden?

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Zeitliches

Tschü mit ü

Was darf Satire?

Diese Frage ist wieder einmal aktuell, seitdem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Wogen hochschlagen wegen zweier Beiträge, die mit dem türkischen Staatsoberhaupt zu tun haben.

Der erste Beitrag wurde vom NDR ausgestrahlt in der Sendung Extra 3 und dürfte hinreichend bekannt sein, da er auf YouTube zu sehen ist.

Offenbar hat sich Jan Böhmermann auf ZDF Neo in der Sendung NeoMagazinRoyale mit dieser eher harmlosen Satire auseinandergesetzt. Diese politische Persiflage eines Nena-Lieds (Erdowie, Erdowo, Erdogan) legt mit traditionell satirischen Mitteln einige Missstände in der Türkei offen. Die türkische Regierung reagierte mit der Forderung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (in der Türkei säße der verantwortliche Redakteur wahrscheinlich längst im Knast).

Jan Böhmermann hat nun in seiner Sendung nichts anderes getan, als ein für allemal klarzustellen, wie ein öffentlicher Text aussehen könnte, der bei uns tatsächlich ein Fall fürs Gericht sein würde. Er hat also die Frage beantwortet:

Was darf Satire NICHT?

Die Sendung wurde vom ZDF nicht wiederholt, da sie nicht den “Vorstellungen” des Senders gerecht werde. Zwei Reime seien hier zitiert (nach einem Cover von jesuisböhmi witzefrei auf YouTube):

“Erdogan ist voll und ganz / ein Präsident mit kleinem Schwanz.”

“Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt / das ist Erdogan, der Präsident.”

Das sind in der Tat primitive, ja einfach lächerliche und dazu obszöne Reime.

Nur: Sie stehen  in Anführungszeichen und dienen lediglich als Negativbeispiele für Satire. Die Argumentation des Senders (Thomas Bellut) scheint sich auf den Autor Böhmermann zu beziehen ( -Böhmermann lag eben nicht richtig in dieser Sendung (war er nicht gut genug?) -), blendet dabei jedoch die Metaebene, auf die sich Böhmenmann begeben hat, vollkommen aus.

In der Öffentlichkeit bleibt womöglich hängen: Der Böhmenmann hat da wirklich ein paar Scheißverse gemacht. In Wirklichkeit geht es aber um den Unterschied zwischen legitimer Kritik und illegitimer, da die Würde des Menschen verletzender Beleidigung.

Eigentlich hat Böhmermann gesagt:

“Ich darf nicht sagen: “Sie sind ein Arschloch!” Aber denken Sie mal drüber nach…”

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Zeitliches