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Heinrich Heine und Diego Maradona

Reisebilder, Beitrag Nr. 4

Wie bereits gesagt: Damals wie heute gab und gibt es immer wieder Polemiken unter Schriftstellern, und gelegentlich endet das auch in einem Shitstorm. Das letzte Kapitel Nr. XI des dritten Teils der Reisebilder (Die Bäder von Lucca) ist definitiv ein solcher. Doch dieser Sturm kündigt sich in Kapitel X durch ein äußerst witziges, aber dennoch schon echt aggressives Grollen und Grummeln, man könnte auch sagen ein äußerst unterhaltsames Gumpeln, an. Er bedient sich nämlich in diesem vorstürmischen Geplänkel der Person des Marchese Gumpelino und auch dessen Diener Hirsch-Hyazinth, hält sich also noch in einem weitgehend fiktionalen Raum, nämlich der Reise zu den Bädern von Lucca, auf. Dennoch ist völlig unverkennbar, dass Heinrich Heine hier schon ganz auf den Grafen Platen zielt, wenn er gewisse Eigentümlichkeiten des Marchese und seines Dieners ins kritische Visier nimmt, und das geschieht vor allem in Hinblick auf dessen vermeintlicher allergrößter Dichtkunst und auf das Fehlen einer Charaktereigenschaft, auf einen lächerlich sich darstellenden Mangel an EHRLICHKEIT. Letzteres ergibt sich indes aus dem zeitbedingt sich ergebenden Widerspruch zwischen Sitten der Zeit und Neigung des Grafen zum männlichen Geschlecht. Eine Polemik gegen einen schwulen Dichter in der heutigen Zeit wäre in dieser Form undenkbar, zumal diese Polemik sich u.a. auch über dessen schwules Gebaren lustig macht.

Es wäre indes verfehlt, Heine deswegen geschlechtsorientierungsbezogene Vorurteilshaftigkeit vorzuwerfen. Denn bei aller Polemik wird doch deutlich, dass sie sich nicht gegen das Schwulsein an sich richtet, sondern gegen die Art Weise, wie hier ein Mensch damit umgeht, nämlich unehrlich und lächerlich. Nehmen wir ein Beispiel aus der heutigen Zeit. Ich weiß nicht sehr viel vom Leben des Fußballstars Maradona. Aber nehmen wir einmal an, ein solcher Star würde permanent von sich behaupten, der größte Star aller Zeiten zu sein, er würde zudem als alternder Star mit Schmerbäuchlein immer noch versuchen, die tollsten Pirouetten zu drehen, sich auch noch aufspielen als Besserwisser gegenüber anderen Stars, – ein solcher Mensch würde sich doch zum Narren machen und als Gegenstand einer satirischen Polemik eignen. Dem Journalisten oder Schriftsteller, der sich diesem Gegenstand in dieser Form widmet, könnte deswegen aber doch nicht vorgeworfen werden, er verunglimpfe den Fußball!

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Umwertung aller Werte… (na ja, einiger…)

Die Bäder von Lucca: Motto und Widmung

Schwul sein und rassistisch – vor 200 Jahren und heute:

Damals durfte man nicht schwul sein, aber rassistisch schon. Der Haß auf Juden war nichts Anrüchiges, sondern in Deutschland weit verbreitet.

Heute darf man schwul sein, aber Rassismus ist verpönt, wie die letzten 14 Tage eindrucksvoll gezeigt haben.

Aber ist die Stimmung wirklich kreuzweise gekippt?

In einem neuen Beitrag in den Reflexen und Reflexionen bereite ich die Analyse zweier Kapitel aus Heinrich Heines Die Bäder von Lucca vor, in denen Heine eine Art  Solo-Shitstorm vollführt: Der Dichter Platen hasst Heine, weil er Jude ist. Und Heine outet im Gegenzug Platen als schwulen Möchtegerndichter.

Hier füge ich ein paar Xenien von Karl Immermann ein, die Heinrich Heine in seinen Reisebildern weitgehend zustimmend zitiert hatte:

Östliche Poeten

Groß mérite ist es jetzo, nach Saadis Art zu girren,
Doch mir scheints égal gepudelt, ob wir östlich, westlich irren.

Sonsten sang, bei Mondenscheine, Nachtigall seu Philomele;
Wenn jetzt Bülbül flötet, scheint es mir denn doch dieselbe Kehle.

Alter Dichter, Du gemahnst mich als wie Hamelns Rattenfänger;
Pfeifst nach Morgen, und es folgen all die lieben, kleinen Sänger.

Aus Bequemlichkeit verehren sie die Kühe frommer Inden,
Daß sie den Olympus mögen nächst in jedem Kuhstall finden.

Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zu viel, die Armen, und vomieren dann Ghaselen.

Diese Xenien gaben Anlass zu dem Streit, der mit den Kapiteln X und XI in Die Bäder von Lucca eskalierte. Goethe hatte 1819 im West-östlichen Divan Lyrik im orientalischen Stil (vor allem des Saadis und Hafis) publiziert. Lyrik in diesem Stil wurde zu einer Modeströmung, an dem sich auch die „kleinen Sänger“ Rückert und Platen beteiligten. Platen, der eine Vorliebe für Ghaselen hatte, erkannte sich in der letzten Zeile natürlich sofort wieder und war natürlich nicht gerade begeistert. Er, der adlige und sich selber mit Lorbeer schmückende Dichter, wurde hier dargestellt als ein Follower, der zu viel vom Fraß des Meisters genossen hatte und Ghaselen kotzt.

Mehr und Vorläufiges dazu unter Reflexe und Reflexionen. Heinrich Heine: Reisebilder. Beitrag Nr. 2

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