Dann mit Youying Sturm der Liebe angeschaut. Die Liebenden hatten in dieser Folge viel Schwierigkeiten miteinander. „Die Kacke ist am Dampfen!“ habe ich des öfteren kommentiert. Youying hat schließlich auch mal gesagt, und zwar durchaus passend: „Kacke Dampf!” Am Nachmittag hatte ich ihre neue Karaoke-Anlage so eingerichtet, dass sie problemlos ihre Songs sehen und hören konnte. Nach “unserem” Sturm der Liebe fragte sie mich, was ich nun mache. Ich sagte, ich schaue jetzt noch Wilsberg. Wo? fragte sie. Da wusste ich, dass es Zeit wäre, das Feld zu räumen und mich in mein Zimmer im Dachgeschoss zurückzuziehen. „Ok, ich verstehe. Du willst noch was Karaoke machen.“ sagte ich und habe sogar noch das Gerät angeschaltet. Und sie, als das Theater losging: „Ist laut. Du schade, dass Kauf?“ Bevor ich etwas antworten konnte, schob sie nach: „Kacke Dampf?“ Und unser beider Lachen übertönte schließlich den chinesischen Pop-Song, den eine sexy China-Sängerin, die auf dem Riesen-Bildschirm gewisse einstudierte Verrenkungen verübte, die denen in amerikanischen Supershows wie z.B. „Utah seeks the Super Star“zum Verwechseln ähnelten, um ein Vielfaches.
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Am Abend noch einmal Suppe gegessen
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Te-Ping Chen: Ist es nicht schön hier
Te-Ping Chen ist eine junge amerikanische Autorin mit Wurzeln in China, die ein paar Jahre in Peking als Korrespondentin des Wall Street Journals gearbeitet hat. Diese erste Sammlung von Kurzgeschichten basiert im Wesentlichen auf ihren genauen Beobachtungen aus ihrer Zeit in China. Sie beschreibt alltägliche Ereignisse und typische Schicksale, denen meistens nicht einmal der Geruch von etwas Außergewöhnlichem anhaftet. Was macht dann aber dieses 2021 erschienene Buch dennoch so lesenswert?
Die Antwort darauf befindet sich hier.
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Die Würde des Menschen ist unantastbar
Alan Sillitoe: A Tree on Fire. Grafton Books, London 1986 (1967)
Warum nimmt jemand im Jahr 2021 ein Buch aus dem Jahr 1986 zur Hand und liest es dann auch noch, das vor über 50 Jahren geschrieben und im Jahre 1986 als Paperback noch einmal veröffentlicht wurde? Ich hatte es 1987 auf Mallorca entdeckt, im Hotel Leo (ja, so hieß das Hotel wirklich), in einer Art Hotelbücherei, es ausgeliehen, musste es aber wegen meiner Abreise halbgelesen wieder abgeben, kaufte es aber in der Flugzeughalle, um es zu Ende lesen zu können. Damals war das Buch offenbar irgendwie populär.
Meine damalige Freundin oder Geliebte, der Status wurde nie richtig geklärt, hatte Mallorca schon nach drei Tagen wieder verlassen, da wir uns ständig stritten. Ich hatte also, da es Winter war, viel Zeit zum Lesen. Der Name des Autors, Alan Sillitoe, hatte mich gereizt, denn als eingefleischter Anglist (Bruno von Lutz) kannte ich seine Erzählung The Loneliness of the Long Distance Runner. Mich hat diese Story fasziniert, da die Frage nach der Würde des Menschen darin so radikal angegangen wird. Ein jugendlicher Kleinganove, der nie eine Chance im Leben hatte und wohl auch keine bekommen würde, sitzt wegen eines Diebstahldeliktes im Knast, und man erkennt, dass er ein phantastischer Langstreckenläufer ist. Also lässt man ihn trainieren, da die Gefängnisleitung darauf hofft, dass er zur Ehre der Anstalt Preise gewinnen wird. Im entscheidenen Wettkampf gegen angesehene Gegner liegt der junge Mann wenige Meter vor dem Ziel weit vor den anderen, doch er hält inne und lässt die anderen an sich vorbeiziehen. Das heißt, er lässt sich nicht instrumentalisieren, er begehrt auf und bewahrt seine Würde. Ein Sieg hätte bedeutet, er hätte seine Würde verloren. Diese Geschichte ist deshalb so beeindruckend, weil sie eine Art Allegorie ist für den allgemeinen Würdeverlust sowohl in den kapitalistisch-demokratischen als auch in den autokratischen Gesellschaften à la China. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Die Würde wird dem Menschen heute oft nicht durch andere Menschen genommen, viele Menschen nehmen sie sich selber. Viele haben das Menschsein einfach nicht gelernt. Aber das ist ein anderes Thema und ein weites Feld…
Ich schaue mir das Cover des Paperbacks an: Im bildlichen Gestaltungsteil sehen wir einen Schnuller und zwei Gewehrpatronen. Um die Bedeutung des Schnullers zu verstehen, braucht man nur den ersten Satz des Romans zu lesen:
„With four week-old Mark wrapped in his woolen shawl she went out to the upper deck.“
Wenn Sie an einer launigen Besprechung interessiert sind, schauen Sie mal nach bei Reflexe und Reflexionen.
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Drei Knödel für ein Halleluja
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“Can American democracy survive Donald Trump?”
Brief an einen Freund, der mir den Link zu einem sehr interessanten Artikel von Sarah Churchwell in The Guardian zugemailt hat:
Hallo Wolfgang,
wie schon gesagt: Ein sehr interessanter Artikel. Hast Du denn schon für den GUARDIAN gespendet?
Lügen – Paranoia – Verschwörungstheorien: Ja, das führt zur Wissenskrise. Nicht mehr unterscheiden können zwischen Wahr und Falsch. Die Indifferenz der Gesellschaft dem einzelnen gegenüber, die auf deren Vielfältigkeit beruht, wird als Missachtung erlebt, für die doch jemand geradestehen muss (die Regierung, der Staat, die Juden, etc.), und dann gibt es da „eine starke Persönlichkeit”, die das mal klar ausspricht. Voila, nun haben wir den Salat, sprich den Faschismus.
Aber wenn sich nun Corona-Gegner mit Anne Frank vergleichen oder mit Sophie Scholl, ist das nicht einfach nur Dummheit? Punkt! Wer sagt denn, dass die meisten Menschen nicht dumm sind? Kann doch sein, oder? Und wenn dann die Dummen bei Wahlen alle ihre Stimme abgeben, ist doch demokratisch, oder?
Aber in den USA scheint es doch nun so zu sein, dass die Republikaner hoffnungslos in der Minderheit sind. Und da sie so die Dummen sind, bleibt ihnen nichts übrig, als mit Hilfe autoritärer Strukturen (Richterstellen besetzen auf Teufel komm raus) oder sinistrer Manöver (Leugnen, was das Zeug hält) wieder an die Macht zu kommen.
Und wenn sich Dummheit mit Lügennarrativ verbindet? So bei Tommy Tuberville, frisch gewählter Senator aus Alabama, der behauptet, sein Vater habe im 2. Weltkrieg Europa vom Sozialismus errettet. Nun sind aber die Demokraten die Sozialisten, und der 2. Weltkrieg würde ja nichts genutzt haben, wenn die jetzt wieder – und sogar in den USA – an die Macht kämen.
Was für ein Sumpf!!!
Ich weiß übrigens nicht, ob ich nicht den Pence für den noch Gefährlicheren halten sollte. Siehe dazu die Ausführungen zu „Totalitarismus – Theokratie“. Recht hat Sarah Churchwell, wenn sie betont, es gehe in den USA nicht um politische, sondern um existentielle Opposition. Was ja bedeutet, dass wir uns dort wieder im Naturzustand befinden (Hobbes, Locke), was ja angesichts der teilweise schwer bewaffneten Trump-Anhänger auch bedeutet, dass es sich hier nicht um eine abstrakte Theorie handelt. Und das Tantra der ungebrochenen starken Demokratie in den USA (George Washington verzichtete auf eine 3. Präsidentschaft: DAS ist die eigentliche Wiege der amerikanischen Demokratie!) ist nichts anderes als eine Beschwörung dessen, was man glauben möchte, aber längst nicht mehr glauben kann.
Schnitt.Ich habe gerade das Buch “WUHAN DIARY – Tagebuch aus einer gesperrten Stadt“ von Fang Fang zu Ende gelesen. Hochaktuell diesmal, meine Lektüre. Ich habe zu diesem Buch auch einen „Lesebericht“ unter Reflexe und Reflexionen veröffentlicht. Vielleicht kannst Du mir in einem Punkt weiterhelfen. Fang Fang hat unter 10 Jahren Kulturrevolution gelitten (Sie hat während dieser Zeit als Packer arbeiten müssen.) und danach Literatur studiert. Sie ist wohl eine der angesehensten Schriftstellerinnen Chinas. Ihr Tagebuch, das sie auf Umwegen im Netz geschrieben hat, wurde heftig von „Linksextremisten“ attackiert, die ihr vorwarfen, nur die schmutzigen Sachen zu beschreiben, nicht aber die sauberen, also die Verdienste der Partei. Sie erwähnt aber auch die Rechtsextremisten, von denen sie auch gar nichts hält. Ihren eigenen Standpunkt umreißt sie mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Reformen und Öffnung. Damit kann sie ja wohl nicht Xi Jinping meinen, oder? Was sind in China heutzutage die „Linksextremisten“, was sind die „Rechtsextremisten“?
Im vorletzten Kapitel (23. März) sagt sie, dass das Tagebuch anders geworden sei als ursprünglich konzipiert. Und ihr letzter Satz in diesem Kapitel lautet: „Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes ‚den anfänglichen Traum vergessen‘“. In einer Fußnote steht dazu: „Anspielung auf ein zum politischen Slogan gewordenes Zitat von Xi Jinping („den anfänglichen Traum nicht vergessen“), das wiederum den Dichter Bai Juyi (772-846) zitiert.
Ich vermute sehr stark, dass Fang Fang den letzten Satz des Kapitels 23. März mit einem Augenzwinkern versehen hat. Sie sagt damit: Schaut mal her, ich halte mich offenbar nicht an das, was der Große Vorsitzende für geboten erklärt Aber ist doch hier gar nicht so schlimm, oder? Sie spielt mit Opposition, dabei meint sie es todernst und verarscht den Großen Vorsitzenden en passant – so locker und gelassen, wie das nur Chinesen können, die in China leben…
Ende Januar habe ich mich in der Nähe von Nanning aufgehalten. Als am 26. und 27. Januar die gemeldeten Todeszahlen immer weiter anstiegen, haben wir uns entschlossen, den nächsten Flug nach Deutschland zu nehmen. Oben also ein paar Bildchen und weiter unten der ausführliche Bericht zum Buch von Fang Fang.
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That’s the way the world ends:
not with a bang, but with a whimper.
An diese Worte von T.S.Eliot (The Waste Land) habe ich heute gedacht, als ich die Bilder sah von Trump im gepanzerten Auto auf dem Weg zum Golfspielen, draußen schrien sich 10.000 Unverbesserliche die rote (republikanische) Seele aus dem Leib, und ein paar tausend Meilen, im entfernten Hanoi, wird zur gleichen Zeit der größte Freihandelsvertrag aller Zeiten unter Führung von China unterzeichnet. Dem Mann ist nicht mehr zu helfen. Ist ein bisschen Mitleid erlaubt?
Im Folgenden nun ein weiteres Zitat aus dem schon öfter genannten Buch von H. Brogan, in dem ich lediglich drei Wörter ersetzt habe:
Trump was at his loss. The inner light had failed. For it had told him that anything was allowed to the President of the United States and that anything was allowable which helped a man to win an election. It was the faith on which he had acted all his adult life, the faith he had divised from watching the imperial actions of Franklin Roosevelt, Harry Truman and the rest, all of whom had from time to time taken chances with the Constitution. He would see no difference between their cases and his, and so went whining into exile in the luxurious golf facility he had created for himself (partly with taxpayers’ money) in Florida.
Nixon hatte übrigens ein home in California. Ansonsten ist die Übereinstimmung auf den ersten Blick überwältigend. Aber schaut man genauer hin, werden Differenzen sichtbar. Natürlich geht es Trump nicht um Roosevelt oder Truman. Er dürfte sich eher Lukaschenko oder Putin angeschaut haben. Und die Frage bleibt: Geht er wirklich endgültig Golf spielen? Die medialen Möglichkeiten heutiger autokratischer Psychopathen dürfen nicht unterschätzt werden. Wenn Fox News umschwenkt, steht ein anderer Sender bereit zu übernehmen. Und es stehen mehr als 70 Millionen Amerikaner bereit, die ihn gewählt haben. Viele davon bewaffnet. Ein weites Feld für dystopische Brütereien. Den meisten Republikanern scheint es ausschließlich darum zu gehen, die Mehrheit im Senat zu erhalten. Sie nehmen damit durchaus die Möglichkeit eines Bürgerkriegs.2 in Kauf.
(For my American friends:
Nixon, by the way, had a home in California. Otherwise, the accordance is overwhelming at first glance. But if you take a closer look, differences become apparent. Of course, Trump is not about Roosevelt or Truman. He may have looked more at Lukashenko or Putin. And the question remains: Is he really going to play golf for good? The media possibilities of today’s autocratic psychopaths must not be underestimated. If Fox News turns around, another channel is ready to take over. And there are more than 73 million Americans who voted for him. Many of them armed. A wide field for dystopian hatcheries. Most Republicans seem to be all about getting a majority in the Senate. They certainly accept the possibility of civil war.2.)
For my Chinese friends:
順便說一下,尼克森在加利福尼亞有個家。否則,協定乍一看是壓倒性的。但是,如果你仔細看看,差異變得明顯。當然, 特朗普與羅斯福或杜魯門有關。他可能更看盧卡申科或普京。問題依然存在:他真的要打高爾夫球嗎?不能低估當今專制精神病患者的媒體可能性。如果福克斯新聞轉過來,另一個頻道準備接手。有7000多萬美國人投了他的票。他們中的許多人攜帶武器。反烏托邦孵化場的寬闊田野。大多數共和黨人似乎都想在參議院獲得多數席位。他們當然接受內戰的可能性。
(This Chinese translation is not exactly what I wanted, but it will do. Translating German-Chinese always means: You will never get what you want!)
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Hamilton/Ohlberg: Die lautlose Eroberung
Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet

Clive Hamilton ist Professor für öffentliche Ethik in Canberra und Mareike Ohlberg, offenbar eine der „profiliertesten deutschsprachigen Chinaexpertinnen“ (das bedeutet ja wohl nach allgemeinem Sprachgebrauch, dass sie nicht unbedingt zu den wirklich profilierten Chinaexperten gehören muss…) legen ein Buch über China vor, das zunächst von drei Verlagen aus Angst vor chinesischen Repressionen abgelehnt wurde.
Wenn man diese Ansage auf dem Bucheinband vor der Lektüre liest, bekommt man als in China-Angelegenheiten noch etwas unbedarfter Leser leicht den Eindruck, hier werde ein wenig übertrieben, um die Verkaufszahlen des dann doch noch in Melbourne, kurz darauf auch in München in deutscher Übersetzung erschienenen Buches zu befördern. Wenn man dann aber ein paar Kapitel gelesen hat, wundert man sich, dass das Buch überhaupt erscheinen konnte. Denn es wird sehr überzeugend dargestellt, dass die Chinesische Kommunistische Partei auf der ganzen Welt mitmischt, wenn immer chinesische Interessen tangiert werden.
[…………] Das hier Ausgelassene ist zu lesen in “Reflexe und Reflexionen”.
Es soll nun in diesem Buch der Nachweis geführt werden, dass Teile der politischen Eliten in der ganzen Welt der Strategie der Einheitsfront erliegen und sich im Sinne der KPCh instrumentalisieren lassen. In vielen Bereichen der Wirtschaft der USA, Europas oder Afrikas sitzen Chinesen in Schlüsselpositionen, und häufig handelt es sich dabei um Soldaten der Roten Armee, also um Parteikader. Es wird skrupellos spioniert, Druck ausgeübt, auch im kulturellen Bereich (Wenn eine Uni den Dalai Lama einlädt, werden der Uni Fördermittel gestrichen oder die chinesischen Studenten, die die Uni mit ihren Studiengebühren mitfinanzieren, „abgezogen“.), im Medienbereich wird dafür gesorgt, dass nur solche Meinungen publiziert werden, die im Sinne der Einheitsfront sind. Und schließlich wird ein Schlaglicht geworfen auf die „Verdrängung Taiwans von der internationalen Bühne“ und den Export der chinesischen Definition von „Terrorismus“.
Was den letzten Punkt betrifft, so sieht es ganz so aus, als habe der Mann, der sich zur Zeit amerikanischer Präsident nennen darf, den Strategen der chinesischen Roten Kalten Krieger über die Schulter geschaut. Denn auch in den USA sollten ja nun friedliche Demonstranten als Terroristen gelten, wenn es nach dem Willen des obersten militärischen Führers ginge. Aber zum Glück sitzen ja in den oberen Rängen des Militärs noch ein paar Leute, denen man noch ein wenig Verstand attestieren kann. Wurde doch heute Abend eine Fachfrau in den USA vom Tagesthemensprecher gefragt: „Müssen die Militärs die Verfassung vor dem Präsidenten schützen?“
Solange eine solche Frage an einen Korrespondenten in Peking als völlig undenkbar erscheint, sammeln die USA bei mir immer noch Punkte…
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Lao-tse: Tao-Tê-King
Über eine Veranstaltung bei Alfred Böttger am 23. August 2016
Alfred Böttger ist ein alter Freund von mir, den ich fast vierzig Jahre lang kenne. Er betreibt in Bonn am Hauptbahnhof eine Buchhandlung nebst Galerie und lädt regelmäßig Literaten, Künstler und Wissenschafter ein, in der Buchhandlung einen Vortrag zu aktuellen Themen zu halten. Habe gestern Abend einen Vortrag von Prof. Kubin von der Uni Bonn besucht, der in meinen Augen nicht das hielt, was versprochen war. Alfred hatte zur Einführung etwas pointiert gesagt:
„Ich zeige in meiner Galerie z.Zt. Zeichnungen nach den Gestaltungsprinzipien nach Lao-tse und Lo Shu. Dabei bin ich über einen Begleittext der Künstler gestolpert, den ich absolut nicht verstanden habe. Also kam mir die Idee, Prof. Kubin, den bekannten Sinologen von der Uni Bonn, zu einem Vortrag einzuladen, damit der uns mal so einiges in diesem Zusammenhang erklären kann.“
Ich hatte den fraglichen Text vor der Veranstaltung gelesen und war gespannt auf die Deutung des Professors. Der Text lautet:
Lao-tse: Tao-Tê-King: Kapitel 11: „Der Speichen dreimal zehn / Auf einer Nabe stehn. / Eben dort, wo sie nicht sind, / Ist des Wagens Brauchbarkeit // Man knetet Ton zurecht / Zum Trinkgerät: / Eben dort, wo keiner ist, / Ist des Gerätes Brauchbarkeit. // Man meißelt Tür und Fenster aus / Zur Wohnung. / Eben dort, wo nichts ist, / Ist der Wohnung Brauchbarkeit. // Wahrlich: / Erkennst du das Da-Sein als einen Gewinn, / Erkenne: Das Nicht-Sein macht brauchbar.“
Es war naiv von mir, nun zu erwarten, dass diesbezüglich Aufklärung erfolgen würde. Kubin erwies sich als ein etwas skurriler Sinologe, der häufig in China lebt. Er begann seinen Vortrag mit Überlegungen zu den polaren Begriffen Potentialität und Realität. Wenn ich Fußball spiele, kann ich nicht zur selben Zeit einen Vortrag halten, obwohl ich beides kann. Realität bedeutet also immer eine Reduzierung der Potenz dessen, was mich ausmacht. Und dieses Prinzip der Reduzierung mache sich auch in der chinesischen Malerei bemerkbar. Der europäische Maler versuche immer, sein Bild möglichst voll zu machen. Der chinesische hingegen lasse viele Stellen auf der Leinwand leer. Kubins Vortrag hatte den Titel: „Die Fülle und die Leere“. Und so versuchte er dem andächtig lauschenden Publikum zu verklickern, dass in diesen Leerstellen chinesischer Malerei, also in den vielen nicht bemalten Stellen, die Fülle der Aussage des Malers zu finden sei.
Ich habe bloß noch gestaunt.
Interessant wird es erst, wenn ich diesen Gedanken weiterspinne. Die Potentialität beinhaltet mehr, die jeweilige Wirklichkeit ist eine immense Reduktion. Aber die Potentialität ist abstrakt, also leer, die Wirklichkeit konkret, also voll von Leben. Erst durch Reduktion erfahre ich Leben, die Potentialität, die das Ganze sein soll, ist dagegen ziemlich blutarm. (Vgl. dazu auch Hegels Abhandlung “Wer denkt abstrakt?”)
Der Professor machte manche Andeutungen. Z.B. die, dass die Fürsten früher über tausend Konkubinen hatten. Das war gewiss sehr anstrengend, sagte er. Man lachte. Er biederte sich dem Publikum mit solchen Anspielungen an, weil er sonst wenig zu bieten hatte. Ein Sinologe eben, der die chinesische Sprache beherrscht, der hierzulande also schon allein deswegen bewundert wird, der aber von der chinesischen Philosophie nur insofern eine Ahnung hat, als sie in sein religiös geprägtes Bewusstsein Eingang findet. – Ich hatte ihn im Untergeschoss der Galerie angesprochen: Kennen Sie die Ausstellung „Buddha“ in der Völklinger Hütte? Phantastische Darstellungen des Buddha aus vielen Jahrhunderten aus vielen asiatischen Ländern. – Kannte er nicht. Für sowas interessiert er sich offenbar nicht. Ein Verdacht war geweckt: Der Mann ist ein Schmalspurwissenschaftler, trotz der immensen Anzahl von Büchern, die er offenbar geschrieben hat. Denn diese Ausstellung im Saarland zeigt circa 250 Originale aus 2.000 Jahren chinesischer Geschichte, die sonst nirgendwo zu sehen wären oder hätten gesehen werden können.
War da noch was? Vielleichte noch dies: Der Professor betonte, dass den Chinesen das Yin und Yang wichtig sei, jeder Mann müsse eine Frau haben, und jede Frau einen Mann. Und beide zusammen möglichst viele Kinder. Aus diesem Grund hätten Sinologen auch mehr Kinder als Japanologen. Er selber habe vier Kinder!
Ich habe nun nicht mehr gestaunt. Ich war entsetzt.
Fazit: Professor Kubin hat über die Geschichte der chinesischen Philosophie gesprochen, und er hat einige textphilologische Dinge dargelegt („Ich habe nachgewiesen, dass es Lao-Tse als Person gar nicht gegeben haben kann. Die chinesische Regierung hört das gar nicht gerne!“). Er hat auch die Statistik sinologischer Nachkommenschaft bemüht. Er hat uns aber, was die chinesische Denke angeht, völlig im Dunklen gelassen.
Mein Verdacht hat sich bestätigt: Wir Westler haben kaum Zugang zur chinesischen Denkweise. Einige von uns mögen zwar die chinesische Sprache lernen, aber nur wenige davon lernen vielleicht, wie Chinesen wirklich ticken.
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Osterhasie – Esterhazy
Ganz schön smart, diese Chinesen.
Neulich fiel meiner kl. chin. Freundin der fünfte Band von Meyers Enzyklopädischem Lexikon in die Hände, der einen langen Artikel über China enthält.
„Das ist zu schwer für mich“, sagte sie und meinte damit wohl den Inhalt, denn sie fuhr fort: „Hast du nichts Einfacheres, z.B. ein Kinderbuch, damit ich besser Deutsch lesen lerne?“
Vor 23 Jahren haben Irene Dische und Hans Magnus Enzensberger ein Buch geschrieben “für alle Kinder, die lesen können”, die Illustrationen steuerte Michael Sowa bei (Verlag Sauerländer). Es trägt den Titel “Esterhazy – Eine Hasengeschichte” und geht gleich auf der ersten Seite auf das Problem ein, dass die Hasen in Österreich wegen ungesunder Ernährung (zu wenig Salat, zu viel Pralinen und Torten) immer kleiner, aber zugleich auch immer intelligenter wurden…
„Der regierende Fürst Esterhazy machte sich Sorgen wegen seiner unzähligen Kinder und Kindeskinder. In den Schuhgeschäften wurden sie ausgelacht, weil ihnen sogar die Babyschuhe zu groß waren. Auch mit dem Radfahren hatten sie Schwierigkeiten, weil ihnen der Sattel zu hoch war und weil ihre Pfoten nicht bis zu den Pedalen reichten. Und als der jüngste Esterhazy in einen Papierkorb fiel und nicht mehr herauskam, sagte der Fürst: “So kann es unicht weitergehen! Jetzt muß etwas geschehen.”
Das ist genau das Richtige für meine Freundin. Sie hat Konfektionsgröße 176, und der Sattel ihres Fahrrads ist etwas zu hoch für sie. Ich habe mir gedacht: Mit diesem schönen Buch bringst du ihr das Lesen bei. Denn man soll ja möglichst an Vertrautes anknüpfen (Sie ist allerdings noch nie in den Papierkorb gefallen. Aber das könnte auch daran liegen, dass meiner einen Deckel hat.).
Heute Abend haben wir mit der ersten Seite angefangen. Wir haben ein paar Seiten des Buches gelesen, und ich habe für meine Verhältnisse mit großer Geduld korrigiert. Dann habe ich ihr gesagt: „Morgen machen wir weiter. Ich brauche jetzt erst mal ein Bier.“
Sie aber sagte:
„Hasie, ich muss viel Bier kaufen für dich!“
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