George Eliot: Middlemarch. Wordsworth Editions Limited, Ware 2000 (1871)
Die gegenwärtige Pandemie verschafft dem Buch von George Eliot, das doch im guten alten Stil behäbiger Psycho- und Liebesromane des 19. Jahrhunderts daherzukommen scheint (das Buch ist in Wirklichkeit das witzigste und geistreichste, das ich in letzter Zeit gelesen habe!), eine überraschende Aktualität, zumindest was einen, aber zentralen Erzählstrang angeht, nämlich den Dr. Lydgate betreffenden, welcher nämlich ein junger Arzt ist, der versucht, in einer fiktiven englischen Stadt namens Mittlemarch Methoden anzuwenden, die bei vielen Bürgern den Verdacht erwecken, er tue da etwas, was angesichts der damals üblichen Methoden schlicht ungeheuerlich sei.
Seit vielen Monaten schon kursiert das Gerücht in Sozialen Netzwerken, Bill Gates habe vor, bei der Impfung gegen das Corona-Virus einen Mikrochip implantieren zu lassen. Gottseidank ist die Anhängerschaft dieser abstrusen Theorie überschaubar. Nicht so überschaubar war hingegen im England der Jahre um 1820, also der Jahre, da unsere Roman spielt, die Anzahl derjenigen, die aus heutiger Sicht einer ebenso abstrusen Theorie anhingen, nämlich der, dass die Ärzte Cholerakranke ins Hospital verbrachten und sie dort töteten, um anatomische Experimente an ihnen durchführen zu können. In vielen Städten, vor allem aber in Liverpool, kam es deswegen zu massiven Aufständen, in denen immer wieder auch gewaltsam dagegen protestiert wurde, dass Ärzte sogar angeblich Leichen vom Friedhof stahlen, um sie dann sezieren zu können.
Allerdings beschränken sich die Ähnlichkeiten zwischen heutigen Verschwörungstheoretikern und denen vor 200 Jahren auf den formalen Aspekt, dass man gewaltsam gegen etwas, das sich im medizinischen Bereich abspielt und das man ablehnt, protestiert,. Ich würde also nicht einen historisierenden Schluss ziehen, der so aussehen könnte: So wie sich pathologische Untersuchungen als legitime und durchaus nützliche Vorgänge etabliert haben, so wird man in beschleunigten Zeiten wie der unserigen vielleichte nicht erst in 200, sondern schon in 20 Jahren zu der Auffassung gelangt sein, beim Impfen würden Mikrochips unter die Haut gespritzt…
Anyway. Kommen wir jetzt zum Roman als solchem. Weiterlesen…
Hallo Wolfgang, wie schon gesagt: Ein sehr interessanter Artikel. Hast Du denn schon für den GUARDIAN gespendet? Lügen – Paranoia – Verschwörungstheorien: Ja, das führt zur Wissenskrise. Nicht mehr unterscheiden können zwischen Wahr und Falsch. Die Indifferenz der Gesellschaft dem einzelnen gegenüber, die auf deren Vielfältigkeit beruht, wird als Missachtung erlebt, für die doch jemand geradestehen muss (die Regierung, der Staat, die Juden, etc.), und dann gibt es da „eine starke Persönlichkeit”, die das mal klar ausspricht. Voila, nun haben wir den Salat, sprich den Faschismus. Aber wenn sich nun Corona-Gegner mit Anne Frank vergleichen oder mit Sophie Scholl, ist das nicht einfach nur Dummheit? Punkt! Wer sagt denn, dass die meisten Menschen nicht dumm sind? Kann doch sein, oder? Und wenn dann die Dummen bei Wahlen alle ihre Stimme abgeben, ist doch demokratisch, oder? Aber in den USA scheint es doch nun so zu sein, dass die Republikaner hoffnungslos in der Minderheit sind. Und da sie so die Dummen sind, bleibt ihnen nichts übrig, als mit Hilfe autoritärer Strukturen (Richterstellen besetzen auf Teufel komm raus) oder sinistrer Manöver (Leugnen, was das Zeug hält) wieder an die Macht zu kommen. Und wenn sich Dummheit mit Lügennarrativ verbindet? So bei Tommy Tuberville, frisch gewählter Senator aus Alabama, der behauptet, sein Vater habe im 2. Weltkrieg Europa vom Sozialismus errettet. Nun sind aber die Demokraten die Sozialisten, und der 2. Weltkrieg würde ja nichts genutzt haben, wenn die jetzt wieder – und sogar in den USA – an die Macht kämen. Was für ein Sumpf!!! Ich weiß übrigens nicht, ob ich nicht den Pence für den noch Gefährlicheren halten sollte. Siehe dazu die Ausführungen zu „Totalitarismus – Theokratie“. Recht hat Sarah Churchwell, wenn sie betont, es gehe in den USA nicht um politische, sondern um existentielle Opposition. Was ja bedeutet, dass wir uns dort wieder im Naturzustand befinden (Hobbes, Locke), was ja angesichts der teilweise schwer bewaffneten Trump-Anhänger auch bedeutet, dass es sich hier nicht um eine abstrakte Theorie handelt. Und das Tantra der ungebrochenen starken Demokratie in den USA (George Washington verzichtete auf eine 3. Präsidentschaft: DAS ist die eigentliche Wiege der amerikanischen Demokratie!) ist nichts anderes als eine Beschwörung dessen, was man glauben möchte, aber längst nicht mehr glauben kann. Schnitt. Ich habe gerade das Buch “WUHAN DIARY – Tagebuch aus einer gesperrten Stadt“ von Fang Fang zu Ende gelesen. Hochaktuell diesmal, meine Lektüre. Ich habe zu diesem Buch auch einen „Lesebericht“ unter Reflexe und Reflexionen veröffentlicht. Vielleicht kannst Du mir in einem Punkt weiterhelfen. Fang Fang hat unter 10 Jahren Kulturrevolution gelitten (Sie hat während dieser Zeit als Packer arbeiten müssen.) und danach Literatur studiert. Sie ist wohl eine der angesehensten Schriftstellerinnen Chinas. Ihr Tagebuch, das sie auf Umwegen im Netz geschrieben hat, wurde heftig von „Linksextremisten“ attackiert, die ihr vorwarfen, nur die schmutzigen Sachen zu beschreiben, nicht aber die sauberen, also die Verdienste der Partei. Sie erwähnt aber auch die Rechtsextremisten, von denen sie auch gar nichts hält. Ihren eigenen Standpunkt umreißt sie mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Reformen und Öffnung. Damit kann sie ja wohl nicht Xi Jinping meinen, oder? Was sind in China heutzutage die „Linksextremisten“, was sind die „Rechtsextremisten“? Im vorletzten Kapitel (23. März) sagt sie, dass das Tagebuch anders geworden sei als ursprünglich konzipiert. Und ihr letzter Satz in diesem Kapitel lautet: „Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes ‚den anfänglichen Traum vergessen‘“. In einer Fußnote steht dazu: „Anspielung auf ein zum politischen Slogan gewordenes Zitat von Xi Jinping („den anfänglichen Traum nicht vergessen“), das wiederum den Dichter Bai Juyi (772-846) zitiert. Ich vermute sehr stark, dass Fang Fang den letzten Satz des Kapitels 23. März mit einem Augenzwinkern versehen hat. Sie sagt damit: Schaut mal her, ich halte mich offenbar nicht an das, was der Große Vorsitzende für geboten erklärt Aber ist doch hier gar nicht so schlimm, oder? Sie spielt mit Opposition, dabei meint sie es todernst und verarscht den Großen Vorsitzenden en passant – so locker und gelassen, wie das nur Chinesen können, die in China leben…
Am 19. Januar beim Shoppen
Am 21. Januar auf dem Markt
Schwiegerpapa
22. Januar: Die Hühner leben noch!
Games
Den Toten gewidmet
“Heiligabend”
Wohnungstür zum Neuen Jahr
News am 26. Januar 2020
News am 27. Januar 2020
Am 27. Januar ein Abschiedsessen
Am 28. Januar auf dem Flughafen von Nanning
Ende Januar habe ich mich in der Nähe von Nanning aufgehalten. Als am 26. und 27. Januar die gemeldeten Todeszahlen immer weiter anstiegen, haben wir uns entschlossen, den nächsten Flug nach Deutschland zu nehmen. Oben also ein paar Bildchen und weiter unten der ausführliche Bericht zum Buch von Fang Fang.