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Dieter Henrich: Dies Ich, das viel besagt

Dieter Henrich, einer meiner Lehrer an der Universität Heidelberg vor mehr als einem halben Jahrhundert, hatte 1966 eine Abhandlung über Fichtes ursprüngliche Einsicht herausgebracht, die neue Ansätze zu einer Philosophie des Selbstbewusstseins entscheidend mitgeprägt hat. Diese Abhandlung kam nun vor drei Jahren erneut auf den Markt,und zwar im Kontext wesentlicher Nachgedanken zu Fichtes Einsicht vom Autor ebendieser Abhandlung. Diese Nachgedanken sind einerseits historisch orientiert, da wichtige Positionierungen zur „alten“ Schrift bedacht werden. Doch ist die neue Schrift, verfasst im Alter von etwa 92 Jahren, weit mehr als eine Replik auf von anderen Gedachtes, da Henrichs eigene weiterführende Überlegungen zu Fragen des Selbstbewusstseins verbunden werden mit skizzenhaften Ausführungen zu der Frage, was es eigentlich bedeutet: ein menschliches Leben zu leben. Dabei verzeichnen wir immer wieder das Erstaunen des Philosophen über Paradoxien der menschlichen Existenz, z.B. die Tatsache, dass das „Individuellste“, das wir haben, nämlich das Bewusstsein unserer selbst, zugleich das Allgemeinste ist, das alle Menschen verbindet.

Ich möchte in meiner „Würdigung“ dieses hoch ausdifferenzierten „Alterswerkes“ nicht auf Einzelheiten eingehen, die der interessierte Zeitgenosse selber aufsuchen kann, wenn er denn das Buch einmal in die Hand nehmen sollte. Ich möchte vielmehr eine stark vereinfachende Skizze von Fichtes ursprünglicher Einsicht versuchen und hier einen Link anbieten zu der von Fichte im Jahre 1797 veröffentlichten Fassung seiner Wissenschaftslehre, die das A und O des Kosmos ist, in dem wir uns hier bewegen. Diese Fassung hat nur etwa 14 Seiten, auf denen Fichte sich in anschaulicher Weise direkt an den Leser wendet und ihn “mitnimmt”.

Hier der ganze Text meiner kurzen Würdigung.

Ein Kommentar

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Erregungsmomente

Erregungsmomentarische, also erratische Erinnerungen an eine Tagung zum Thema “Erregungsmomente. Funktionen des Erotischen in der Literatur”. (27. – 28. März 2015 im Alten Rathaus in Saarbrücken, organisiert von Dr. Juliane Blank und PD Dr. Anja Gerigk)

Caroline Fischer sprach, als ich ein wenig verspätet eintraf, bereits etwa 10 Minuten über „Erregungsmomente zwischen Zensur und Selbstzensur“. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und trug Stiefel, die noch über die Oberschenkel zu reichen schienen. Danach sprach Yulia Marfutova über Briefromane, die angeblich besonders voyeuristisch sein sollen. Mein Einwand: Auf der Oberflächenstruktur richtig. Aber tiefer gesehen, bietet jeder Roman diesen Einblick in die Herzen der Protagonisten und Agonisten. Dann hätte aber jeder Roman etwas voyeuristisches, dann wäre jeder Roman erotisch, sofern man dem Voyeurismus in jedem Fall ein erotisches Motiv unterstellt, dann wäre Literatur als solche erotisch (Höchste, da direkteste Form wäre der sog. „stream of consciousness“). Literatur mithin als Ersatz fürs Leben. (Sollte diesen Gedanken gelegentich mal weiter ausführen…) Christina Serafim sprach dann in einem roten Kleid über „Verführte Helden“ und begann mit den Worten „Lassen Sie sich durch meinen Vortrag verführen.“ Sie kam in High Heels und in Begleitung eines sexy jungen Mannes, der sie während ihres Vortags mit dem Smartphone filmte. Nelia Dorscheid aus Saarbrücken sprach dann über die Syphilis. Die restlichen Vorträge verschwimmen in eins, d.h. ich konnte nicht mehr richtig folgen, da ich angefangen hatte, mich in eigenen erotischen Gedanken zu ergehen… Am Abend hielt dann Gerhard Neumann, 80 Jahre, einen sog. Keynote-Vortrag über Erotik und Wissensbegehren, der mit der These endete, nicht die Sexualität sei das Entscheidende, sondern das Wissen von ihr. Das Abendessen um 20 h in der Trattoria Toscana musste ich ausfallen lassen, da für diesen Abend noch nichtliterarische Erregungsmomente geplant waren: Meine kleine chinesische Freundin hatte ein Essen vorbereitet… – Am nächsten Morgen musste ich den Rest der Tagung ausfallen lassen, da mein Auto streikte, obwohl doch interessante Aspekte zur Diskussion standen (worauf das Auto keinerlei Rücksicht nahm) wie z.B. die Bestimmung des Menschen und die Fellatio in Bezug zum Gedächtnis. Letzteres sollte von Ruven Karr am Beispiel eines relativ unbekannten Gedichtes (Benedicta) von Benn erörtert werden. Ruven war der einzige männliche Referent auf dieser Tagung (außer dem alten Schlachtross Neumann). Nach seiner Promotion ging er in die Werbung. Habe ich gegoogelt, hätte man sich aber denken können. Siehe Benn – Benedicta – Fellatio. Das möchte man doch sofort kaufen, oder? – Und was mir sonst noch in Erinnerung blieb? Neumanns Schlussthese nach Foucault: Nicht die Liebe zählt, sondern das Bewusstsein von ihr. Ich könnte mir vorstellen, mit 80 Jahren zu einem ähnlichen Resümee zu kommen… Und noch etwas. In den wissenschaftlichen Diskursen der Gegenwart, wahrscheinlich jedoch in den Wissenschaftlichen Diskursen aller Zeiten, schwirren Topoi, geflügelte Worte, herum, die dekorative und prestigeheischende Funktion haben, obwohl sie längst jedes Sinnes entleert sind. Dazu gehört auch Descartes Satz Cogito, ergo sum. Ich denke, also bin ich. Längst ist bewiesen, dass dieser Satz Unsinn ist. Das ich denke setzt ein Sein bereites voraus, das denkt. Der Satz Ich furze setzt ein Ich voraus, das furzt. Ich furze, also bin ich? Aus solchen Sätzen lässt sich also kein Sein ableiten. Und dennoch zitierte Neumann Desartes Satz und wandelte ihn um in Ich liebe, also bin ich. Macht sich gut in einem Vortrag über Erregungsmomente. Neumann hat diesen Begriff in seinem Vortrag häufig verwendet und so deutlich gemacht, dass ihm am Thema der Tagung etwas liegt. Als er jedoch zu Beginn seines Vortrags nach dem Titel der Tagung suchte, fiel er ihm nicht ein. „Erotische Momente?“ fragte er. Am Ende hat ihn noch die Syphilis befallen. Und benutzte er diese „Gedächtnisschwäche“ etwa als Stigma (früherer) sexueller Potenz? Ach, und noch etwas. „Transgresssion“ war einer der am häufigsten verwendeten Begriffe. Mir scheint, die Germanistik ist selber einem akzellerativen Transgressivitätzwang unterworfen, muss also immer neue Themen generieren, um am Leben zu pygmalionbleiben. Und die jungen Wissenschaftler müssen in dieses sich beschleunigende Hamsterrad einsteigen, um beim Lehrstuhl zu bleiben oder einen solchen einmal erklimmen zu können. Pardon, da fällt mir ein, dass man das ja „wissenschaftlichen Fortschritt“ nennt. Aber hat es diese Diskussion um „Erregungsmomente“ nicht schon einmal 1969 gegeben, dokumentiert in Peter Gorsens Sammelband „Das Bild Pygmalions“? Bricht damit meine Kritik an der Germanistik in sich zusammen, was den Zwang zu permanenter Themenerweiterung betrifft? Aber ergibt sich dann nicht die nächste naheliegende Frage: Wie weit zurück reicht das Gedächtnis der modernen Germanistik, wenn sie sich Fragen zuwendet, die bereits gestellt worden sind? 5 Jahre? 10 Jahre? 40, fast 50 Jahre sind offenbar eine Dimension, die schlichtweg als irrelevant angesehen wird. –

Ich schwadroniere und kritisiere. Also bin ich! Glück Auf! Ich komme hoch! Ich komme! Da bin ich. Gekommen. – Adagio. Presto!

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