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Grand Hotel Europa

Ilja Leonard Pfeijffer: Grand Hotel Europa. Piper Verlag, München 2020

Der niederländische Autor Ilja Leonard Pfeijffer ist in den Niederlanden wohlbekannt, er soll zu den führenden Autoren des Landes gehören. Ich hatte bisher nie von ihm gehört und habe mich auf eine Lektüre eingelassen auf Grund einer positiven Rezension in der Süddeutschen Zeitung. Volltreffer!

Pfeijffer ist verliebt ins Schreiben und man ist als Leser schnell bereit, ihm liebevoll zu folgen. Der Titel des Buches entpuppt sich als beziehungsreiche und kompakte Verdichtung dessen, was in diesem Roman abgehandelt wird. 

Nach der Lektüre assoziiert man leicht den Titel „Grand Hotel Europa“ mit dem geläufigen Schlagwort von der „Festung Europa“. Dieses Unterthema wird gleich im ersten Abschnitt des ersten Kapitels angeschlagen. Der Erzähler, ein gewisser Ilja Leonard Pfeijffer aus den Niederlanden, trifft bei seiner Ankunft im Grand Hotel Europa naturgemäß zuerst auf einen Piccolo, der ihm den Koffer tragen soll. Sie rauchen jedoch zuerst einmal gemeinsam eine Zigarette, und bei dem sich entspinnenden Gespräch erfahren wir einiges über den Erzähler (kommt direkt aus Venedig, hat vorher ein paar Jahre in Genua gewohnt, ist Schriftsteller), zugleich aber auch schon ein wenig über den Piccolo, einen junger Mann, der sich offenbar in Afrika aufgemacht hatte, die Wüste zu durchqueren und dann per Boot nach Italien geflohen ist. Abdul wird noch häufig mit dem Erzähler zusammensitzen und diesem seine Geschichte erzählen. Kurz gesagt: Es geht in diesem Roman unter anderem um das europäische Migrationsproblem, zu dem Pfeijffer eindeutig Stellung bezieht: Migranten sind nicht das Problem, sondern die Rettung Europas.

Grand Hotel Europa ist aber auch mit Hinblick auf Thomas Manns Roman Der Zauberberg, der ja auch in einem Hotel spielt, eine Metapher für einen Zustand Europas, demzufolge es für diesen Kontinent keine Zukunft gibt, da er nur aus Vergangenheit besteht und der aber versucht, daraus Kapital zu schlagen, indem er mit der Vergangenheit sein großes Geschäft macht.

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Faust III. Der Alte will es (noch mal) wissen / und war dann doch zu zierlich…

Faust am Ende: In einem Alpen-Spa, mit einem Prolog im siebten Himmel, einem Vor- und Nachspiel und einer etwas umständlichen Betrachtung als Zwischenfall

Prolog im siebten Himmel

Als ich an diesem Nachmittag in die Sauna kam, saß da ein junges Pärchen in dieser runden Entspannungsnische und küsste sich, die Beine ineinander verschlungen, die Arme umeinander gewickelt und die Lippen ineinander verschmolzen. Ich habe sie später im Pool gesehen, er schwamm voraus, sie hing dahinter an ihm, und sie zogen langsam ihre Bahn in gemeinsamer Bewegung. Am Abend, beim Büffet, gingen sie nie einzeln, also getrennt, zu den Speisen, immer zusammen, und bevor sie etwas auf ihre Teller schaufelten, küssten sie sich, und wenn sie sich dann wieder an ihren Tisch begaben, küssten sie sich, bevor sie auf zwei verschiedenen Stühlen wieder Platz nahmen. Von verschiedenen Tellern essen zu müssen, das muss für sie eine kaum zu ertragende Qual gewesen sein. Doch jedes mal, wenn sie das Weinglas hoben, küssten sie sich wieder.

Er war übrigens ein schlanker, schöner Mann, sie hatte etwas zu dicke Beine. War das alles also nur ein Ablenkungsmanöver?

Dicke Beine

Vorspiel

Eine Praxis für asiatische Massage in Frankfurt

Besucher: Guten Tag.

Nana: Guten Tag. Zum ersten Mal?

Besucher: Ja. Was bieten Sie denn an?

Nana: Kommen Sie! Kommen Sie.

Nach circa 40 Minuten

Nana: Alles?

Besucher: Was alles?

Nana nimmt ein wenig Gestik zu Hilfe:

Nana: Ja, eben alles.

Besucher: Dann also alles Mögliche…

Gedanken zu einem missratenen Termin im Beauty & Spa eines Wellness-Hotels in den Alpen

Auf dem Frühstückstisch lag wie immer ein Flyer mit Angeboten des Tages. Unter „Freie Termine im Beauty & Spa“ stand:

Lomi-Lomi Nui: Die Magie des Jahrtausende alten Massagerituals! Schließen Sie die Augen und tauchen Sie ein in den Genuss! Jeder Teil Ihres Körpers (Hervorhebung von mir) erfährt durch sanftes Drücken, Streichen, Dehnen – unter Verwendung von warmen (sic) Öl – die Aufmerksamkeit, die er benötigt. Diese Energiemassage regeneriert den Körper von Innen und schenkt Ihnen neue Sensibilität. Dauer: 75 Minuten / € 95,00.

Ich habe mir nun gedacht: Wenn die chinesische Nana besser Deutsch sprechen könnte, dann hätte sie mir wohl ihre Massage mit eben diesen Worten angepriesen. Und habe – neugierig geworden – im Internet nach erotischen Massageangeboten gesucht und festgestellt, dass die einschlägigen Studios mit sehr ähnlichen Worten für ihren einschlägigen Service werben. Wie gesagt, neugierig geworden und dennoch in realistischer Einstellung habe ich mich also zum Alpenlarch Spa begeben, in der Gewissheit, wie in früheren Jahren eine ganz solide Massage zu erhalten.

Ich wollte es einfach wissen und folgte einem urfaustischen Drang… (Schließlich ist Faust am Ende (vorläufig zumindest) bei Gretchen gelandet…)

Die Neue heißt Manuela. Ich fragte sie zuerst nach Maria, und sie sagte mir, dass sie nicht mehr da sei. Wir verabredeten also einen Termin für 15 Uhr, und bei der Terminvergabe beugte sie sich recht weit über den Tisch. Ich hatte also gute Aussichten – auf eine angenehme Lomi-Lomi-Nui-Massage. Als ich um Punkt 15 Uhr wieder dort erschien, war zunächst niemand da. Dann tänzelte ein junger Mann in weißer Kluft an mir vorbei, offenbar Manuelas Kollege. Sie kam schließlich auch aus einem Zimmer, ging an mir vorbei, ohne mich dabei anzusehen, geschweige denn zu begrüßen. Da ahnte ich nichts Gutes. Schließlich kam der junge Mann wieder zum Vorschein, in Stimmlage, Gang und Arm- und Hand-Gestik so, wie gemeinhin Schwule in Filmen dargestellt werden, also filmreif. Als er mir dann die Hand gab und mich in ein Massagezimmer bat, habe ich ihm gesagt, dass ich mich gern von einer Frau massieren lassen möchte. „Das hätten Sie bei der Terminabsprache sagen müssen!“ sagte er mir. „Ich bin davon ausgegangen…“ fing ich an, und er fiel mir ins Wort und sagte, heute sei sowieso keine Masseuse frei. Ich bin also wieder gegangen.

Mir schien, hier war etwas schief gelaufen, und es lag nicht an mir. Warum hat Manuela mich nicht darauf hingewiesen, dass ich heute von einem Mann massiert werden würde? Das Hotel ist nicht gender-unsensibel. An einer Sauna steht: „Ab 17 Uhr nur für Frauen!“ Manche Frauen ziehen eine reine Frauensauna vor, und manche Frauen lassen sich lieber von Frauen massieren (andere mit Vorliebe von jungen Männern, auch das ist bekannt). Warum sollten sich ältere Männer nicht mit Vorliebe von jungen Frauen massieren lassen? Eine völlige Missachtung solcher Aspekte wäre in meinen Augen ein wenig weltfremd.

Natürlich sind die Manager solcher Hotels nicht weltfremd. Aber sie denken natürlich ökonomisch. Wenn also an einem Tag nur männliches Personal zur Verfügung steht, fragt man die massagewilligen Männer besser nicht nach ihren geheimen Wünschen… Und die meisten Gäste „schlucken“ im gegebenen Fall, was ihnen vorgesetzt wird, selbst wenn sie was anderes möchten. Weil die meisten eben so tun, als ginge es bei diesen Wellnessmassagen ausschließlich um eine medizinisch induzierte Verbesserung ihres körperlichen Zustandes…

Prüderie ist ja aus unserer Gesellschaft anscheinend weitgehend verbannt. Aber in diesen Wellness & Spa – Abteilungen hat sie sich noch eine kleine Nische gesichert.

(Natürlich haben Sie längst bemerkt, dass ich Grund zu der Annahme habe, einen gewissen Verdacht zu hegen, was meine Sicht auf die Beschreibung solcher Massagen betrifft. Was also, so lautet der Verdacht, muss in meinem (kranken?!) Kopf vorgehen, wenn ich diese Assoziationshomomorphien entdecke in der Beschreibung einer Massage in einem Hotelprospekt und in der Werbung für eine erotische Massage?)

 

Nachspiel

Manuela und (nennen wir ihn mal Daniel) und Daniel sitzen am Abend noch ein wenig unter sich im Beauty & Spa beisammen.

Daniel, mit filmreifer Handgestik:

Du, der Typ wollte sich partout nicht von mir massieren lassen.

Manuela:

Tja, ich wollte dir was Gutes tun. War eigentlich dein Typ. Konnte ja nicht wissen, dass der Kerl sich so zieren würde.

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Erregungsmomente

Erregungsmomentarische, also erratische Erinnerungen an eine Tagung zum Thema “Erregungsmomente. Funktionen des Erotischen in der Literatur”. (27. – 28. März 2015 im Alten Rathaus in Saarbrücken, organisiert von Dr. Juliane Blank und PD Dr. Anja Gerigk)

Caroline Fischer sprach, als ich ein wenig verspätet eintraf, bereits etwa 10 Minuten über „Erregungsmomente zwischen Zensur und Selbstzensur“. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und trug Stiefel, die noch über die Oberschenkel zu reichen schienen. Danach sprach Yulia Marfutova über Briefromane, die angeblich besonders voyeuristisch sein sollen. Mein Einwand: Auf der Oberflächenstruktur richtig. Aber tiefer gesehen, bietet jeder Roman diesen Einblick in die Herzen der Protagonisten und Agonisten. Dann hätte aber jeder Roman etwas voyeuristisches, dann wäre jeder Roman erotisch, sofern man dem Voyeurismus in jedem Fall ein erotisches Motiv unterstellt, dann wäre Literatur als solche erotisch (Höchste, da direkteste Form wäre der sog. „stream of consciousness“). Literatur mithin als Ersatz fürs Leben. (Sollte diesen Gedanken gelegentich mal weiter ausführen…) Christina Serafim sprach dann in einem roten Kleid über „Verführte Helden“ und begann mit den Worten „Lassen Sie sich durch meinen Vortrag verführen.“ Sie kam in High Heels und in Begleitung eines sexy jungen Mannes, der sie während ihres Vortags mit dem Smartphone filmte. Nelia Dorscheid aus Saarbrücken sprach dann über die Syphilis. Die restlichen Vorträge verschwimmen in eins, d.h. ich konnte nicht mehr richtig folgen, da ich angefangen hatte, mich in eigenen erotischen Gedanken zu ergehen… Am Abend hielt dann Gerhard Neumann, 80 Jahre, einen sog. Keynote-Vortrag über Erotik und Wissensbegehren, der mit der These endete, nicht die Sexualität sei das Entscheidende, sondern das Wissen von ihr. Das Abendessen um 20 h in der Trattoria Toscana musste ich ausfallen lassen, da für diesen Abend noch nichtliterarische Erregungsmomente geplant waren: Meine kleine chinesische Freundin hatte ein Essen vorbereitet… – Am nächsten Morgen musste ich den Rest der Tagung ausfallen lassen, da mein Auto streikte, obwohl doch interessante Aspekte zur Diskussion standen (worauf das Auto keinerlei Rücksicht nahm) wie z.B. die Bestimmung des Menschen und die Fellatio in Bezug zum Gedächtnis. Letzteres sollte von Ruven Karr am Beispiel eines relativ unbekannten Gedichtes (Benedicta) von Benn erörtert werden. Ruven war der einzige männliche Referent auf dieser Tagung (außer dem alten Schlachtross Neumann). Nach seiner Promotion ging er in die Werbung. Habe ich gegoogelt, hätte man sich aber denken können. Siehe Benn – Benedicta – Fellatio. Das möchte man doch sofort kaufen, oder? – Und was mir sonst noch in Erinnerung blieb? Neumanns Schlussthese nach Foucault: Nicht die Liebe zählt, sondern das Bewusstsein von ihr. Ich könnte mir vorstellen, mit 80 Jahren zu einem ähnlichen Resümee zu kommen… Und noch etwas. In den wissenschaftlichen Diskursen der Gegenwart, wahrscheinlich jedoch in den Wissenschaftlichen Diskursen aller Zeiten, schwirren Topoi, geflügelte Worte, herum, die dekorative und prestigeheischende Funktion haben, obwohl sie längst jedes Sinnes entleert sind. Dazu gehört auch Descartes Satz Cogito, ergo sum. Ich denke, also bin ich. Längst ist bewiesen, dass dieser Satz Unsinn ist. Das ich denke setzt ein Sein bereites voraus, das denkt. Der Satz Ich furze setzt ein Ich voraus, das furzt. Ich furze, also bin ich? Aus solchen Sätzen lässt sich also kein Sein ableiten. Und dennoch zitierte Neumann Desartes Satz und wandelte ihn um in Ich liebe, also bin ich. Macht sich gut in einem Vortrag über Erregungsmomente. Neumann hat diesen Begriff in seinem Vortrag häufig verwendet und so deutlich gemacht, dass ihm am Thema der Tagung etwas liegt. Als er jedoch zu Beginn seines Vortrags nach dem Titel der Tagung suchte, fiel er ihm nicht ein. „Erotische Momente?“ fragte er. Am Ende hat ihn noch die Syphilis befallen. Und benutzte er diese „Gedächtnisschwäche“ etwa als Stigma (früherer) sexueller Potenz? Ach, und noch etwas. „Transgresssion“ war einer der am häufigsten verwendeten Begriffe. Mir scheint, die Germanistik ist selber einem akzellerativen Transgressivitätzwang unterworfen, muss also immer neue Themen generieren, um am Leben zu pygmalionbleiben. Und die jungen Wissenschaftler müssen in dieses sich beschleunigende Hamsterrad einsteigen, um beim Lehrstuhl zu bleiben oder einen solchen einmal erklimmen zu können. Pardon, da fällt mir ein, dass man das ja „wissenschaftlichen Fortschritt“ nennt. Aber hat es diese Diskussion um „Erregungsmomente“ nicht schon einmal 1969 gegeben, dokumentiert in Peter Gorsens Sammelband „Das Bild Pygmalions“? Bricht damit meine Kritik an der Germanistik in sich zusammen, was den Zwang zu permanenter Themenerweiterung betrifft? Aber ergibt sich dann nicht die nächste naheliegende Frage: Wie weit zurück reicht das Gedächtnis der modernen Germanistik, wenn sie sich Fragen zuwendet, die bereits gestellt worden sind? 5 Jahre? 10 Jahre? 40, fast 50 Jahre sind offenbar eine Dimension, die schlichtweg als irrelevant angesehen wird. –

Ich schwadroniere und kritisiere. Also bin ich! Glück Auf! Ich komme hoch! Ich komme! Da bin ich. Gekommen. – Adagio. Presto!

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