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Mitteilungen aus der Kronen-Gruft 52: Nichts ist gewöhnlicher als der Tod (No2)

Dass nichts gewöhnlicher als der Tod ist, wird genau so in dem hier beachteten Kapitel von “Joseph und seine Brüder” gesagt. Was aber heißt das? “Gewöhnlich” ist ja etwas, das häufig, ja immer vorkommt. Alles, was lebt, erleidet den Tod. Voila: Der Tod ist etwas sehr Gewöhnliches. Aber “gewöhnlich” hat ja eine weitere Bedeutung. Etwas Gewöhnliches ist das Gegenteil von etwas Außerordentlichem. Letzteres betrifft das Wie des Menschen, das, was jeden von jedem anderen unterscheidet. Der Tod hingegen betrifft nicht das Wie, sondern das Dass, die bloße Existenz. Und die ist nur ein Dass, ein Dass-man-ist, und sonst gar nichts. Und das ist etwas sehr Gewöhnliches, etwas ohne alle Zier…

Wie es einem beim Sterben so ergehen kann

Bei Thomas Mann hat der Tod also etwas Neckisches. Er ist also nichts, vor dem man sich fürchten müsste…

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Mitteilungen aus der Kronen-Gruft 51: Nichts ist gewöhnlicher als der Tod (No1)

In meinen Poe’schen oder auch poetischen Nächten lese ich also viel, wie viele in dieser Pandemie. Es gibt zahlreiche Blogs, die davon Zeugnis ablegen und Blogger,, die daraus so etwas wie ihre Blog-Message machen. Sie teilen uns schlicht mit, was sie so gerne lesen und muten uns damit manchmal einiges zu, da uns das, was sie gerade interessiert, überhaupt nicht interessiert.

Ich mache das jetzt mal ganz anders. Ich mute Euch nichts zu, sondern ich beglücke Euch mit ein paar Zitaten aus Thomas Manns Roman “Joseph und seine Brüder”, nicht wahllos-willkürlich nach dem, was ich so gerade lese, sondern sorgsam ausgewählt in Anpassung an die Zeit, in der wir leben. Und deren Thema ist der Tod – obwohl das so nirgendwo richtig gesagt wird. Aber erstens verdrängen wir alle, dass es uns schneller erwischen kann als uns lieb ist (als wir zu denken gewohnt waren); das heißt aber, wir leben alle beständiger “als sonst” mit dem Todesgedanken. Und zweitens gibt es im Augenblick Institutionen (etwa Krankenhäuser) und Landstriche (etwa Gegenden, wo Menschen in ärgster Armut leben), in denen die Menschen sterben wie die Fliegen wegen einer Pandemie, von der noch niemand weiß, ob wir die jemals wieder loswerden.

Ich fand es jedenfalls tröstlich, wie genial, scheinbar spielerisch-ironisch Thomas Mann in diesem Roman über den Tod schreibt. Es relativiert vieles. Und ich ertappe mich bei der Vorstellung, der Tod könne doch etwas sehr Schönes, obwohl natürlich äußerst Gewöhnliches sein, wenn man ihn so schön in Worte fassen kann (Kommt da etwa Todessehnsucht auf?). Das hat natürlich etwas mit dem Wesen der Kunst zu tun, auf das ich mich hier aber nicht weiter einlassen möchte…

In diesem und den folgenden zwei Posts geht es um drei Aspekte des Sterbens:

1. Wie es uns in den Tod reißen kann.

2. Wie es einem beim Sterben so ergehen kann.

3. Wie man einen Sterbenden trösten kann.

All dies wird geschildert in dem Kapitel “Bericht von Mont-kaws bescheidenem Sterben”. Joseph wurde bekanntlich in Ägypten als Sklave verkauft und gelangte in das Haus des Verwalters der Güter des wichtigsten Höflings beim Pharao, nämlich dieses Mont-kaws. Und als dieser stirbt, wird Joseph zu dessen Nachfolger bestimmt. Joseph weiß genau, dass Gott ihn dafür vorgesehen hatte. Leicht widerwillig, gleichsam um das Schicksal zu prüfen, ruft er bei der Erkrankung seines Herren nach dem besten Arzt des Reiches, wohl wissend, dass der Gottes Pläne nicht durchkreuzen kann (Mont-kaw also keinesfalls heilen wird). So sieht das jedenfalls der auktoriale Erzähler in diesem 1.400 Seiten starken Roman, der für die Pandemie wie geschaffen scheint…

Wer hat nicht schon einmal erlebt, dass z.B. ein Ehemann stirbt und seine Frau ihm “bald folgt”. Viele sehen darin ein wunderbares Beispiel für Verbundenheit über den Tod hinaus. Nicht so offenbar der Erzähler der Joseph-Geschichten. Hier also der erste Teil unserer Todes-Trilogie:

Wie es uns in den Tod reißen kann

Allezeit war dieses Sichanstecken am Tode, das sogenannte “Mitgenommenwerden” von einem, dem man in zugiger Friedhofshalle die letzte Ehre erweist, etwas sehr Häufiges, damals so gut wie heute. Es war Sommer und sehr heiß, dabei aber, wie oft in Ägypterland, recht windig, – eine gefährliche Verbindung, da der fächelnde Wind die Verdunstung der Hauttranspiration zu fortwährend jäher Abkühlung beschleunigt. Mit Geschäften überhäuft, hatte der Meier sich im Hause versäumt und sah sich in Gefahr, zu den Feierlichkeiten zu spät zu kommen. Er mußte eilen, er schwitzte, und schon bei der Überfahrt über den Strom gen Westen, im Gefolge der Leichenbarke, fror den nicht warm genug Gekleideten bedenklich. Der Aufenthalt nachher vor dem kleinen Felsengrabe, das der Gewölbebesitzer, nun Usir, sich erspart hatte und vor dessen bescheidenem Portal ein Priester in der Hundsmaske Anups die Mumie aufrecht hielt, während ein anderer mit dem mystischen Kalbsfuß die Zeremonie der Mundöffnung an ihr vornahm und die kleine Gruppe der Leidtragenden, die Hände auf den mit Asche bestreuten Köpfen, dem Zauberakt zusah, war wegen des gesteinskalten Zuges und Höhlenhauches, der dort ging, auch nicht besonders zuträglich. Mont-kaw kam mit einem Schnupfen und einem Blasenkatarrh nach Hause; am nächsten Tage schon klagte er vor Joseph, wie es ihm so seltsam schwerfalle, seine Arme und Beine zu bewegen; eine Art von Betäubung zwang ihn, von häuslicher Tätigkeit abzusehen und sich zu Bette zu legen, und als der Obergärtner ihm gegen die unerträglichen, mit Erbrechen und halber Erblindung einhergehenden Kopfschmerzen Blutegel an die Schläfe setzte, bekam er einen apoplektischen Anfall.

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Mitteilungen aus der Kronen-Gruft 28: Einen Augenblick noch, bitte!

Augenblick

Bitte nicht vergrößern

„Unser größter und längster Irrtum ist, dass wir das Leben, d.h. seinen Genuss, wie die Materialisten das Ich, in seiner Zusammensetzung suchen, als könnte das ganze oder das Verhältnis der Bestandteile uns etwas geben, das nicht jeder einzelne Teil schon hätte. Besteht denn der Himmel unseres Daseins, wie der blaue über uns, aus öder matter Luft, die in der Nähe und im Kleinen nur ein durchsichtiges Nichts ist und die erst in der Ferne und im Großen blauer Äther wird? Das Jahrhundert wirft den Blumensamen deiner Freude nur aus der porösen Säemaschine von Minuten; oder vielmehr an der seligen Ewigkeit selber ist keine andere Handhabe als der Augenblick. Das Leben besteht nicht aus 70 Jahren, sondern die 70 Jahre bestehen aus einem fortwehenden Leben, und man hat allemal gelebt und genug gelebt, man sterbe, wenn man will.°

(Jean Paul, Sämtliche Werke, Abteilung 1, 3. Band: Titan, p. 25. Darmstadt 1999)

Siehe auch Leo Läufer: Nur einen Augenblick.

English translation, Google improved…“Our greatest and longest mistake is that we look for life, i.e. its enjoyment, like the materialists for the ego, in its composition, as if the whole or the ratio of the components could give us something that not every single part already had. Does the sky of our existence, like the blue one above us, consist of desolate, dull air, which in the vicinity and in the small is only a transparent nothing and which only becomes blue ether in the distance and in the great? The century only throws the flower seeds of your joy out of the porous sowing machine of minutes; or rather, in blessed eternity itself there is no other handle than the moment. Life does not consist of 70 years, but the 70 years consist of an ongoing life, and one has always lived and lived enough, no matter when you die.”

Institut zur Restoration menschlicher Würde

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