Ja, sie lassen ihn in der neuen Hamletinszenierung im Saarbrücker Staatstheater zuletzt doch noch sterben, obwohl er so unsterblich gut gespielt wurde und die Inszenierung für jede Überraschung gut war.
Die Inszenierung basiert auf dem Prinzip der Steigerung. Am Anfang wirken alle Schauspieler fade, wie sie da nebeneinander aufgestellt sind und nichts sagen. Am Ende sind alle über sich hinausgewachsen. Polonius, von einer Frau gespielt, die in jedem Politkrimi der Gegenwart so auftreten könnte: als intrigante Staatssekretärin; Rosenkranz, der zwischen den Fronten hin- und hergerissen wird und am Ende ja zerrissen wird. Ophelia, die zunächst verloren scheint im Wahnsinnsgebaren Hamlets, dann aber im Tod über sich hinauswächst: Sie wird von Claudius und Gertrud von der Bühne gerollt, nachdem sie sich ertränkt hat, was aber etwas schwierig ist, weil sie immer wieder über ihren schwangeren Bauch hinweggedrückt werden muss. Also Ophelia schwanger. Und Hamlet?
Der sitzt oft im Hintergrund der Bühne und spricht in seine Handyvideocamera. Man sieht das dann als Zuschauer auf großen Vorhängen rechts und links auf der Bühne. Eine grandiose Anspielung auf die Tiktokisierung unseres Alltags.
Der zieht im dritten Akt dann aber auch Hose und Unterhose aus und rennt dann unten ohne rum. Das könnte ein Symbol sein für sein existentielles Ausgeliefertsein, seine absolute Verletzlichkeit.
Die beiden neben mir sitzenden alten Damen sahen das wahrscheinlich anders. Sie ließen sich im Chor vernehmen mit einem gehauchten “Ach Gott!”. Was klang da nicht alles mit: Erstaunen, Verwunderung, Überraschung, alte Erinnerungen tauchten da wohl wieder auf. Entrüstung klang da nicht mit. Wir sind alle im 21. Jahrhundert angekommen.