Hamlet war gestern

Nachgedanken zu einem Tag in meiner alten Heimat Düsseldorf

Mittags in der Cigarworld eingekauft, dann in einer Trattoria in der Nähe des Karlsplatzes gegessen. Anschließend Grauburgunder im Killepitsch. Ich habe draußen an einem der ovalen Tische gestanden und mir die vorbeiziehenden Brüste und die wackelnden Hintern der Frauen angesehen. Da kommt ein junger Inder am Killepitsch vorbei, schwarzes, glänzendes Haar, Anzug, smart. Er lächelt mich an. Und da ich zufällig in diesem Augenblick in sein Gesicht sehe, lächle ich zurück. Als nächstes nehme ich wahr, dass er, nachdem er an mir vorbeigegangen ist, sich an meinen Tisch gestellt hat und ein helles Getränkt mit zwei Stohhalmen und eine Schachtel ausländischer Zigaretten auf den Tisch gelegt hat. Sein Gesicht ist mir jedoch abgewandt, er hat seinen Kopf auf eine Hand gestützt, als ob er über etwas nachdenke. So stehen wir für eine Weile am selben Tisch, doch dann ist er verschwunden, was ich zunächst nicht wahrgenommen habe, da ich mich mit dem linken Ellbogen auf die Tischkante gestützt hatte und folglich in die andere Richtung schaute (Busen und Hintern). Aber dann taucht er plötzlich wieder auf, er hat wohl einen Bogen geschlagen, kommt nun wieder von der anderen Seite, der ich mich zugewandt hatte, und stellt sich diesmal an den Tisch zu meiner Rechten, also an den, der in meinem Blickfeld liegt. Er sieht mich nicht direkt an, aber irgendwie in meine Richtung. Der kleine feine Inder gibt nicht auf, ich aber bringe mein leeres Glas an die Theke und mache mich auf den Heimweg. Auf meinem Balkon rauche ich eine Zigarre und trinke noch etwas Rotwein. (Natürlich fällt mir diese Balkonszene in Philadelpia an. 1970. Ich war ums Capitol herumgeschlendert und hatte diese beiden Guys getroffen, einen Weißen mit Vollbart und einen agilen Schwarzen. Die luden mich ein zu sich nach Hause. Dort sagte der Weiße nach einer Weile zu mir: Take it easy, und verabschiedete sich. Mit dem Schwarzen lag ich bald danach auf dem Balkon und rauchte einen Joint. Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich stand auf und verabschiedete mich. Take it easy.) Ich habe wieder diesen Weltschmerz. Irgendwie laufen die Dinge an mir vorbei, ohne mich zu berühren. Irgendwie wiederholt sich alles. Irgendwie ist alles voraussehbar. Die Welt hat kein Geheimns mehr. (Außer mir selber. Dem kann ich nicht entfliehen, ist aber nur schwer auszuhalten…) Oder ist Weltschmerz das Gefühl, man habe den Faden, die Nabelschnur verloren und treibe jetzt unweigerlich ins unendliche All, ins allesverschlingende Nichts? So ähnlich muss es sich kurz nach der Geburt angefühlt haben. Und so ähnlich muss es sich wohl auch am Ende des Lebens anfühlen. Sein oder Nichtsein? Das ist gar nicht die Frage. Sein ist Nichtsein. Und alles Illusion. Irrsinnstanz einiger Neuronen in einem Gehirn von endlicher Dauer.

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Eine Antwort zu “Hamlet war gestern

  1. “Wem I Moment des Seins nur übrig,
    hat nichts mehr zu verbergen not.”
    Philippe Quinault, “Atys”
    Motto von E.A.Poes Manuskriptfund in einer Flasche

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