Die Zukunft der digitalen Identität
Ich habe sie also besucht, die Ausstellung im NRW-Forum Düsseldorf, in der die digitale Ichwerdung des postmodernen, globalisierten Menschen anhand der Werke einiger Bildkünstler aufgezeigt werden soll (19. September 2015 – 17. Januar 2016). Neben der Kasse (Eintritt moderate 6 €) ist ein riesiger Tisch, auf dem Accessoires rund ums Selfie zum Kauf angeboten werden: Ein Karton mit Partyzubehör, also Schnurrbärte, Brillen und rote Nasen; ein Kit zum Selbermachen von Filmen mit dem Smartphone (ohne Smartphone, ohne App); ein Buch mit Tipps zum Selfieren; Bildbände mit Selfies, der anrührendste wohl ein Fotobuch mit Aufnahmen von Weihnachten von 1900 bis 1945, immer das gleiche Paar neben dem Tannenbaum zu sehen, etc.
Im unteren Bereich hängen Bilder von bekannten Menschen, Schauspielern, Sängern, etc. an der Wand. Bemerkenswert ein UnBild, nämlich das von Daniel Barenboim, dem Leiter der Berliner Symphoniker. Unbild,weil nicht sein Bild mehr da hängt, sondern ein Brief seines Büros mit der Bitte, das Bild zu entfernen. In einer engen, abgetrennten Abteilung Konfetti auf dem Boden und ein Video von einer Rapper Band. In der Mitte eine Büste von Fidel
Castro, sag ich mal, die linke Hand ist ausgestreckt, die bronzene Hand so geformt, dass gerade ein Smartphone zwischen die Finger passt. Während ich auf das Auslösen wartete, standen Menschen in der Tür oder am Fenster der Kabine und ließen Kommentare los wie: Da müssen Sich sich den Bart länger wachsen lassen! Witzig!
Ein Bildschirm war an einer Wand in der großen Halle zu sehen, auf dem Szenen eines Lebens in Küche und Schlafzimmer flimmerten. Dazu gab’s Kopfhörer, so dass man hören konnte, was die junge Frau so vom Leben hielt. Das größte Bild des Raumes besteht aus hunderten von Einzelbildern, auf denen jeweils ein Mensch zu sehen ist, der sich – wie der Künstler es verlangt hatte – in seiner privaten Umgebung selber fotografierte und
dazu den Stinkefinger zeigt. Ein einziges Bild, etwas größer als die meisten anderen, kam dreimal vor: Eine schwarze Schönheit im BH, aus dem Atombrüste quellen. Als Zugabe der Stinkefinger, für dessen Exposition der Selfie-Man, die Selfie-Woman vom Künstler 50 Cents kassiert hat. Dann gab’s da noch eine Skaterbahn, die mit Fuß-Selfies tapeziert worden war. (Betreten auf eigene Gefahr!
Und an der Treppe zur Empore: Mindestgröße 1,40 m!) Interessant auch die Bilder, die jemand bei Google Earth entdeckt hatte mit Gesichtern, mit Gesichtern der Erde sozusagen. Einen anderen Blick in die Tiefe vermittelte eine weitere Serie von Bildern mit Selfies auf Wolkenkratzern. Da kann man nur sagen: Mut zum Selfie! In der oberen Etage weitere Bilder, z.B. von einer jungen Frau beim Selfie-Selbst-Küssen (sie nannte das wohl Frenchkissing), also sie trug Kopfhörer und küsste beständig an den Fingern ihrer rechten Hand herum. In der linken hielt sie wohl die Kamera. Oder ein Holzverschlag, gebaut aus alten, also gebrauchten Paletten, der Eingang ein tief hängender Müllsack, dahinter, also innen drin ein ungemaches Bett, jede Menge leerer Bierdosen und an den schmutzigen Palettenwänden jede Menge Selfies von nackten, dicken Brüsten. –
Ich bin dann noch etwas durch den vom Sturm verwüsteten Hofgarten spaziert, erblickte plötzlich rechts von mir die Tonhalle, die von einem sturmerhaltenen alten Baum eingerahmt wurde und habe mir gedacht: Jetzt machste mal kein Selfie, sondern ein anständiges Bild! Sehen Sie selber!
Hat dies auf IntercityWanderjahre rebloggt und kommentierte:
Ein Lesegenuss: Leo Läufer kommentiert die Ausstellung “Ego Update” in Düsseldorf. Nach der Lektüre werde ich jetzt keine Teleskop-Selfie-Krücken zu Weihnachten verschenken. Leo dokumentiert das Schreiben aus Daniel Barenboims Büro: Bitte entfernen Sie mein Bild aus der Ausstellung. Und genial ist Leos Selfie in dem Raum mit den Stinkefinger-Selfies – souverän die Geste der Verweigerung: nicht nur verweigert er die ominöse Geste, sondern jegliche Geste.