Die Lage ist bedrohlicher als 2020. Warum gibt es keinen Lockdown? Wenn der nicht „verhältnismäßig“ ist, wie kann man dann rechtfertigen, dass es ihn 2020 gegeben hat? Alle Politiker sagen: Wir müssen etwas tun. Es wird aber nicht gehandelt. Ich habe den Verdacht, die Tatsache, dass nun die FDP mit im Regierungsboot sitzt, ist schuld daran. Grüne und FDP passten nicht zusammen. Aber eine Regierung, die nicht aus einer Großen Koalition bestehen sollte, konnte es nur mit Grünen und FDP im Boot geben. Wie sollte das aber gehen? Indem man die Legende erfand, es gehe um das Große Ganze, um die Zukunft. Und behauptete, man sehe sehr wohl die Gegensätze, aber sehe gerade darin eine Chance, da man gelernt habe, voneinander zu lernen. Habeck, glaube ich, sagte in einer Talkshow, wo der eine eine 9 sehe, sehe der andere vielleicht eine 6. Offenbar üben die Koalitionäre sich im Kopfstand, und siehe da: Die Dinge werden so gleich, wie sie sein müssen, um eine gemeinsame Politik zu machen. Natürlich ist das Quatsch, das Bild ist logisch nicht nachvollziehbar, denn niemand steht ja normalerweise auf dem Kopf, und die Äußerung kleistert etwas zu, was beim leisesten Druck auseinander fallen wird. Habt Ihr beobachtet, wie neulich bei Anne Will Frau Baerbock immer wieder den lieben Christian ansprach, und der Christian etwas verhaltener Ansprache nahm an die liebe Annalena? Sehr verhalten aber eigentlich. Denn er war schon ziemlich verschnupft darüber, dass Anne Will und Melanie Amann vom SPIEGEL ihn nachdrücklich in die Zange nahmen und ihm vorwarfen, sich „ideologisch“ zu gebärden, wenn er immer wieder einen Lockdown ausschloss und sich dabei auf formaljuristische Gründe oder Finten verließ. Das RECHT kann ganz schön als Waffe benutzt werden, juristische Argumente geraten leicht zu Totschlagargumenten, die dem Muster gleichen: Befehl ist Befehl, da kann man nichts machen! Das weiß natürlich auch der kluge Herr Lindner. Und er weiß, dass es sehr schwer ist, ein solches Totschlägerimage wieder loszuwerden, wenn die Wirklichkeit anbrandet. Und deshalb wirkte er wohl auch bei Anne Will etwas gereizt und nervös.
Herr Lindner hat ganz recht. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, uns wie unmündige Kindern zu behandeln und vor jedem Unbill zu beschützen. Demokratie setzt den mündigen Bürger voraus und der muss selbst dafür sorgen, dass er andere nicht schädigt und sich selbst so gut es geht schützt. Und was Frau Ammann und Frau Will dazu denken, interessiert uns gar nicht – ihre Aufgabe als Journalisten ist, möglichst sachlich und objektiv zu berichten und nicht, Stimmung gegen irgendein politisches Lager zu machen. Weil der Reiz dieser Sendungen aber offenbar darin besteht, Meinungen aufeinander zu hetzen und zu polarisieren, sind Talkshows in der derzeitigen Häufung im Fernsehen überflüssig wie ein Kropf. Jeden Abend dieselben hochbezahlten Gesichter und derselbe Quatsch, darauf kann man eigentlich verzichten und auf die nächste Gebührenerhöhung dann auch.
Lieber Hans-Christian, wenn Du Dich im Auto anschnallst, spürst Du dann jedesmal den Druck des überheblichen Staates, der Dich mal wieder wie ein unmündiges Kind traktiert?
Die FDP hat viel versprochen im Wahlkampf: Freedom Day, Ende aller Einschränkungen. Aber dann kam ihr die Pandemie in die Quere. Über eine Partei, die gerade von der Wirklichkeit überholt wird. (Süddeutsche Zeitung vom 1.12.2021)
Voila! Hab‘ ich doch gestern schon gesagt. (Anbrandungen der Wirklichkeit)