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Charles eins zwei drei

Von Thomas Hobbes stammen so markante Sprüche wie homo homini lupus (Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf) und bellum omnium contra omnes (Krieg aller gegen alle). Letzteres gilt für den sog. Naturzustand und ergibt sich aus dem erstern. Jedem Schüler, der in der 12 Jahrgangsstufe mal einen Grundkurs Philosophie belegt hat, sind diese Dinge bekannt, und er weiß auch, dass Hobbes auf Grund der politischen Wirren seiner Zeit für einen starken Souverän, sprich Monarchen, plädierte und, als Charles I. dann seinen Kopf verlor und Oliver Cromwell an die Macht kam, dafür plädierte, sich dem kronenlosen Souverän zu unterwerfen. Womit wir beim Thema des neuen, spannenden Romans von Robert Harris wären: Act of Oblivion.

Dieses Gesetz von 1660 sollte eigentlich einen Schlussstrich ziehen unter die Wirren der vergangenen 10 – 15 Jahre und der puritanischen Bevölkerung signalieren, dass man nun wieder vereint unter dem neuen König, Charles II, dem Sohn des alten, in die Zukunft schauen wollte. Viele Freunde Cromwells kamen daher aus ihren Löchern und rechneten mit einer Begnadigung. Sie hatten allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht, nämlich eine korrupte royalistische Elite, die, kaum an der Macht, sich einen Dreck darum scherte, was sie versprochen hatte und einen nach dem anderen Puritaner köpfte oder hängte. Man war kreativ in der Wahl der Mittel. Viele wurden zuerst gehängt, aber dann doch im letzten Augenblick wieder abgenommen. Dann wurden ihnen die Glieder abgeschnitten, die Därme rausgeholt, der Kopf abgeschlagen und der Rumpf in vier Teile geteilt, und das alles vor einer entsetzt-faszinierten Menge von Schaulustigen.

Harris schreibt nun einen Roman, der in dieser Zeit spielt. Warum? Es ist anzunehmen, dass ihn angesichts gegenwärtiger globaler Fanatisierung und Ideologisierung genau dieses Thema reizte. Und dabei auch die Frage: Wer sind die Guten, wer die Bösen? Der Böse in diesem Roman ist gewiss ein Gentleman namens Richard Nayler, die Guten Edward Whalley und William Goffe. So scheint es jedenfalls zunächst. Nayler ist so etwas wie ein selbsternannter Sonderermittler, der im Auftrag der Regierung Charles II. die letzten flüchtigen Königsmörder verfolgt, sprich diejenigen, die das Todesurteil gegen Charles I. unterschrieben hatten. Sein Antrieb ist dabei eine Mischung aus persönlicher Rache und politischer Ideologie. Die letzten verbliebenen “Königsmörder” sind die oben genannten. Während nun Nayler eine vom Autor frei erfundene Figur ist, hat es Whalley und Goffe tatsächlich gegeben, und diese sind im Jahre 1660 tatsächlich nach Neuengland geflohen und dort bei diversen Puritanern, teilweise echten religiösen Fanatikern, untergekommen.

Es ist hohe Romankunst, wie Harris die historisch belegten, aber auch den “unbelegten” Nayler zum Leben erweckt. Wir erfahren nicht nur Anschauliches über beruflich-polische Lebensläufe, also z.B. über grausame Gemetzel, Intrigen und das Leben der meist puritanischen Siedler in Massachusetts und Connecticut, sondern auch höchst intime persönliche Nöte der Personen dieser Zeit. Das ganze wird historisch garniert mit Erwähnungen solch einschneidener Ereignisse wie das große Feuer in London, die Eroberung New Amsterdams durch die Engländer oder Erwartung des Jüngsten Tages im Jahre 1666, an die viele radikale Puritaner glaubten. Und solche historischen Großereignisse sind wiederum garniert mit pikanten Details. So wird beispielsweise in einem frühen Kapitel erwähnt, dass der Duke of York, der jüngere Bruder Charles II., eine absolut unpolitsche Person war, dem an nichts anderem lag als Völlerei und Hurerei (Was Prinz Charles telefonische Turteileien mit seiner Geliebten Camilla angeht, so sind das Kindereien gegenüber dem, was unter Charles II abging…). York ist offenbar Befehlshaber der Flotte, die New Amsterdam erobert, was der Krone 30.000 Pfund im Jahr einbrachte und der Stadt einen neuen Namen. Doch auch die Gegenseite wird nicht geschont. Es wird entlarvt, dass einer der fanatischten Puritaner, der Reverend John Davenport, sich einen Tripper zugezogen hatte, was immerhin ein Grund für seinen religiösen Eifer sein könnte.

Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass am Ende das Böse verliert und das Gute gewonnen haben könnte… Aber der alte Whalley vetraut seinem Tagebuch auch an, dass er die Einsicht gwonnen hat und von ihr geradezu überrascht worden ist, dass beide, die Guten und die Bösen, immer zu 100 % geglaubt haben, dass sie im Recht sind.

Womit wir bei Charles III. sind, der wohl felsenfest davon überzeugt ist, dass Waffenlieferungen in die Ukraine das Richtige sind. Während Putin ihn wohl für einen verkappten Faschisten hält. Allein, so ganz stimmt dieser Vergleich wohl nicht in Zeiten, in denen Ideologie durch Zynismus und Propagandismus ersetzt worden ist.

Im Kleinen jedoch scheint sich Geschichte eins zu eins zu wiederholen. Im ersten Kapitel wird beschrieben, wie die beiden flüchtigen “Königsmörder” in ihrer “Gastfamilie” in Cambridge ankommen. Daniel Gookin, Puritaner aus Cambridge, hat sie aus England “mitgebracht”, um sie vor Verfolgung zu schützen. Seine Frau Mary ist aber ein wenig skeptisch und fragt ihren Mann, nachdem sie sich zurückgezogen haben:

“And where are we to put them, Daniel?…”
“The boys can give up their beds and sleep downstairs.”
“How long are they to stay?”
“As long as it is necessary.”
“What ist that? A day? A month? A year?”
“I cannot say.”

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