Eine gar nicht so romantische Affäre, Berlin, 1801
Als Ludwig Tieck sich 1792 von seinem Freund Wilhelm Heinrich Wackenroder in Berlin verabschiedete, da er in Halle auf Geheiß seines Vaters Theologie studieren sollte, trennten die beiden Freunde sich spät abends vor dem Haus ihres Lehrers August Ferdinand Bernhardi, der später Werke verfasste wie Ueber die ersten Grundsätze der Disciplin in einem Gymnasium, der sich ferner mit einer Schwester Ludwig Tiecks, Sophie Tieck, verheiratete und dadurch in den Kreis der Berliner Romantiker geriet, was ihm nicht in jeder Beziehung wohl bekommen ist. Um 1801 trieb dort nämlich auch August Wilhelm Schlegel sein Unwesen, d.h., er besuchte offenbar die Schlafzimmer verheirateter Damen (zumindest einer), zumal, wenn der Gemahl schon in einem etwas fortgeschrittenen Alter war. Manche Romantiker waren wohl so etwas wie die Hippies des aufgeklärten und poetisch ambitionierten Bürgertums.
Kurz: Schlegel hatte offenbar ein Verhältnis mit Sophie Bernhardi, geb. Tieck. Am 3. Oktober 1801 schreibt er ihr aus Jena in einem Brief:
Es ist eine grausame Sache um die Abwesenheit. Daß ich Dich doch nie wieder verlassen dürfte, wenn ich erst bei Dir zurück bin, nicht einen Tag meines Lebens; daß ich immer dieselben Zimmer mit Dir bewohnen dürfte. – Du solltest sehen, daß ich nur für Dich leben will, daß ich nach nichts anderem auf der Welt trachte.
Zehn Tage später schreibt Sophie ihrem Geliebten ein paar Zeilen aus Berlin:
Bernhardi ist einen Augenblick ausgegangen, und ich eile, Dir, mein liebster bester Wilhelm, noch einige Worte zu schreiben….. O komm, mein geliebter Freund, ich vergehe in der Sehnsucht nach Dir, glaube, daß ich Dich ewig unveränderlich liebe, aber laß Dir diesen Glauben nicht so anmerken, mein Bruder schreibt mir: Wenn ich dem Anschein trauen dürfte, so müßtest Du Schlegel sehr lieb haben. Da Bernhardi alle meine Briefe sieht, so kannst Du Dir denken, daß mir solche Bemerkungen nicht angenehm sind….. Komm, mein geliebter, mein teuerster Freund, Jugend, Freude und Leben beseelt mich bei dem Gedanken, Dich bald zu sehen. Ich höre Bernhardi, leb wohl.
Man könnte sich durchaus vorstellen, Sophie habe auf ihrer WhatsApp geschrieben. Und als Bernhardi das Zimmer betritt, schließt sie schnell die App und tut so, als surfe sie im Internet…
Jedenfalls haben es der Wilhelm und die Sophie faustdick hinter den Ohren.
Aber Bernhardi hat wohl doch Wind von der Sache bekommen, es kam zum Scheidungsprozess, in dessen Verlauf offenbar sein Freund Fichte, der Philosoph des absoluten Ichs, als Zeuge für ihn aussagte. Fichte sagte vor Gericht aus, er habe einmal, als er unerwartet in das Schlafzimmer von Bernhardis Frau getreten sei, August Wilhelm Schlegel bei ihr vorgefunden „in sonderbarster Verfassung“. Schlegel hat sich über diese Aussage offenbar maßlos geärgert und schüttet allen Sarkasmus, dessen er fähig ist, in seinem Brief an Fichte über diesen aus, z.B. so:
Was Madame betrifft, so haben Sie während der ersten Zeit Ihres Aufenthalts in Berlin ihren Umgang sehr aufgesucht, ihr großes Zutrauen und ausgezeichnete Hochachtung bewiesen. Sie kann in ihren Augen schwerlich einen anderen Fehler haben, als daß sie Ihre Schwächen und Lächerlichkeiten zu gut durchschaute, wovon sie aber niemals einen üblen Gebrauch machte, sondern gewissermaßen ihre Einsicht unter den Glauben gefangennahm, daß ein Mann, der so zuversichtlich als ein Wiederhersteller der Menschheit auftrat und auch von einigen Zeitgenossen dafür anerkannt wurde, doch einen bedeutenden innern Wert haben müsse, wenn er auch in der Nähe oft bedauernswürdig klein erschien.
Schlegel macht Fichte hier regelrecht fertig. Er spricht ihm nicht Größe ab, sondern wirft ihm Scheinheiligkeit, Doppelte Moral und Heuchelei vor. Er sagt, Sie haben sie doch geachtet, früher. Und wenn Sie in dieser Achtung einen Fehler an ihr entdeckt haben sollten, dann doch wohl nur den, dass sie Sie in Ihrer Lächerlichkeit voll durchschaut hat. Was natürlich kein Fehler an sich ist, sondern eine Stärke. Ein Beispiel vollkommen ironischen Sprechens. Und was ist mit seiner, vom Publikum durchaus anerkannten Größe? Geht man näher ran, wird Fichte ganz klein. Fichte ist vernichtet…
Schlegel führt dann noch Beispiele an, die beweisen sollen, dass er sich um die Familie des Herrn Bernhardi gekümmert hat, während der, übrigens häufig mit seinem Zechkumpanen Fichte, sein Geld versoff. Und er wirft ihm vor:
Daß Menschen wie Ihr Trinkgeselle und Sie selbst ein Verhältnis wie das, welches zwischen meiner Freundin und mir meine Verehrung und meine Bestrebungen für sie begründen, da ich bei ihr die Stelle des abwesenden Bruders, bei ihren Kindern die erledigte Vaterstelle vertrat, nicht begreifen können, daß sie es auf schnödeste mißdeuten, darf mich nicht befremden. Herr Bernhardi war freilich damals sehr weit entfernt, dergleichen zu äußern: er zitterte vor dem Gedanken, sich meinen Unwillen zuzuziehen, da er von meiner Freigebigkeit seine Ernährung erwartete.
Also Bernhardi hat schon früher alles gewusst, aber er hat geschwiegen, da er gut bezahlt wurde. Schegel hat sich den Zutritt zu Sophies Schlafzimmer erkauft. Natürlich hätte Schlegel nie in Traum daran gedacht, dass das der Fall wäre. Aber er gibt es in diesem Brief ungewollt und unbewusst zu.
Gegen Ende des Briefes schreibt der wütende Schlegel:
Ich wiederhole es, Ihre Beschuldigung gegen Madame Bernhardi und mich ist eine Lüge, eine schamlose und boshafte Lüge.
Schlegel hatte Fichte im sog. Atheismusstreit verteidigt. Dass sich Fichte nun in seine Händel mit Bernhardi eingemischt hat, war in seinen Augen wohl nicht nur unnötig, sondern boshaft. Eine solche Verhaltensweise kann man unter mafiösen Gesichtspunkten betrachten. Und Schlegel ist Mafia: Ich habe Dir geholfen, aber Du fällst mir in den Rücken. Also vernichte ich dich.
Dieser Brief ist der Versuch eines geistigen Totschlags. Klingt nicht sehr romantisch.