Weiterer Brief an einen Freund

 

Tach Hermann!

Entschuldige bitte  die Verspätung.
Ich hoffe, es geht Euch gut und Ihr seid eifrig am Plätzchen backen; vielleicht lernst Du gerade, wie man szechuanischen Spekulatius backt. Durchaus interessant sind wohl Deine Bemerkungen zu Churchwell’s Artikel im G (ich spende ihm übrigens jedes Jahr etwas), – freilich auch ziemlich verwirrend, sodass ich – z.Zt. wenigstens – in ihnen kaum einen  Zugang zu einer klaren argumentativen Linie finde, die die Grundlage  für eine Diskussion hergeben könnte.  Ich meine ganz grundsätzlich (habe ich wohl früher schon mal  dass die Amerikadebatte (vor allem in den USA selbst) sich viel zu sehr auf Personen  wie DT und seine Gehilfen,  – fast kaum aber auf den “mindset” der am. Gesellschaft  (wobei ich nicht – wie es viele tun – nur ihren dicken Bodensatz  meine) konzentriert  oder genauer auf die Frage, ob und wenn,  warum – möglicherweise über viele 
Generationen hin – diese Gesellschaft den “Humus” geschaffen hat, auf dem  Kreaturen wir DT gedeihen können. Seid draussen vorsichtig … und gegrüsst!

Wolfgang

 

Hallo Wolfgang,

Du bist ja immer noch ein sehr gradliniger Mensch, der sagt, was er meint. 

So, Du bist also der Auffassung, ich schreibe in Bezug auf Amerika nur wirres Zeug… Meine einzige Entschuldigung kann nur darin bestehen, die Ansicht zu äußern, dass dieser Eindruck Folge dessen ist, dass wir uns in zwei unterschiedlichen Diskurswelten bewegen – was diese meine spontanen Reflexe oder Reflexionen angeht.  Meine Überlegungen waren natürlich nicht streng logisch-argumentativ, also diskursiv, sondern entsprachen eher einem sprachlich-musikalischen Scherzo, in dem mal hier, mal da ein Tupfer gesetzt wurde, durch die die Auslösung dieses oder jenes Gedankens freigesetzt werden sollte. Sorry, ich wollte Dich wirklich nicht überfordern. (Auf diese bösartig erscheinende ironische Pointe konnte ich einfach nicht verzichten. Ich hoffe,, Du verzeihst mir. Aber bedenke, dass auch ich nicht ganz begeistert war von Deiner Charakterisierung meiner Gedanken: „Interessant, aber wirr!“.)

Nun aber im Ernst und in alter Freundschaft. Es geht mir jetzt gar nicht mehr um die USA, sondern darum, von Dir als gewieftem Historiker folgende Auskunft zu erhalten: Was ist im heutigen China rechtsextrem, was ist linksextrem?

Hintergrund und Grund meiner Frage ist Folgendes: Ich habe ja, wie Du weißt, ein sehr aktuelles Buch von Fang Fang über die 60 TageTotal-Isolation in Wuhan und in der Provinz Hubei gelesen. Fang Fang erwähnt mehrmals, dass ihr Tagebuch, das sie ja täglich trotz Zensur in China veröffentlichen konnte, vor allem von Linksextremisten (aber auch gelegentlich von Rechtsextremisten) diffamiert wurde. Sie erhielt übelste Kommentare, etc. Während der Kulturrevolution musste sie 10 Jahre lang schwere Arbeit verrichten und durfte erst hinterher studieren. Sie wurde dann ja eine in China sehr bekannte Schriftstellerin und war Vorsitzende des chinesischen Schriftstellerverbandes. Ich sage ja im zweiten Teil meines Artikels, der ja ursprünglich als Brief an Dich gedachte war, noch einiges mehr zu diesem Thema. Ich habe nun bei einem Besuch bei der chinesischen Schwägerin dieses Wuhan Diary erwähnt, und die Reaktion war für mich zunächst verblüffend. Xiu (meine Schwägerin) bekam bei Nennung dieses Namens einen roten Kopf und begann zu schreien: Diese Frau lügt. Diese Frau ist eine Betrügerin. Sie ist eine sehr böse Frau. Sie schreibt nur schlechte Dinge, weil sie damit viel Geld verdienen kann! etc. etc.  Von meiner Frau erfuhr ich dann, dass Xiu offenbar regelmäßig im Internet Zeitung liest. Da wurde mir klar: Sie vertritt genau die linksradikale Position derer, die im Buch erwähnt werden und die so gegen Fang Fang gegiftet haben. 

Was also bedeutet linksradial und rechtsradikal in Bezug auf China heute?

Herzliche Grüße

Hermann

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